Die neue Angst

Ich habe Angst. Und ich habe Angst aufzuschreiben, dass ich Angst habe, weil ich sie dann anerkennen muss. Ich war immer der Furchtlose: mit gefälschtem Redaktionsschreiben ein Journalistenvisum beantragen, um über die libysche Revolution zu schreiben. Alleine durch Kundus, um den Verrat der Bundeswehr an ihren afghanischen Übersetzern zu recherchieren. Getarnt als Syrer aus italienischen Flüchtlingslagern über Misshandlungen berichten.

Und jetzt? Seit dem 9. November ist mein Brustkorb eng, ein fester Knoten drückt in der Magengrube. Am Tag der amerikanischen Präsidentschaftswahlen ging ich um drei Uhr morgens ins Bett, dachte, Hillary würde das Kind schon schaukeln.

Am nächsten Morgen stürmte ein Kumpel in mein Zimmer, riss die Arme hoch und rief: „Trump! Trump! Trump!“ Es war witzig gemeint.
 Später rief meine Mutter an, so, wie sie es immer tut, wenn Schreckensmeldungen sie beunruhigen – Germanwings-Absturz, Anschlag in Ansbach, Putsch in der Türkei – und sagte: „Sonst kannst du mir doch auch immer etwas beruhigendes sagen.“

Vier Tage später ging ich mit einem Freund für meine Geburtstagsparty Bier und Käse einkaufen und während wir über den Supermarktparkplatz liefen, erzählte ich ihm von dem Knoten in meiner Brust und wie ich erst dachte, dass es eine Erkältung sei, mir dann jedoch eingestehen musste, was es tatsächlich war, woraufhin er meinte: „Ja, mir geht’s auch so, vor allem wegen der Kleinen.“ Die Kleine, seine zweijährige Tochter.

Die Geburtstagsparty war lang und wild und keiner sprach über Trump und kurze Zeit später ging mein Flieger nach Vietnam zu einem Freund, der dort seit drei Monaten lebte. Ich dachte, dass ich bloß ein paar Tage Ruhe und Abstand bräuchte, dann würde das schon wieder werden.

Wir tranken Reiswein mit frischem Schlangenblut, tanzten auf den Tresen der Altstadt, verbummelten unsere Zeit in der sorgenlosen Expatblase, irrten mit dem Rucksack durch abgelegene Täler, schliefen auf fremden Holzböden.

Jetzt sitze ich am Strand einer abgelegenen Insel, Facebook kann ich immer noch nicht länger als ein paar Augenblicke öffnen, News nur wohldosiert lesen und ich begreife: Der Knoten wird sich durch ein bisschen Ruhe und Abstand nicht lösen.

Dass ich so lange brauchte, um das zu erkennen, liegt wohl auch daran, dass ich Gefühle nur ungern zulasse. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber ich fahre ganz gut damit und falls dann doch mal eine emotionale Spitze durch den Panzer dringt, weiß ich, was mir hilft: Schreiben.

Als im Juli 2016 in München ein junger Mann um sich schoss, saß ich mit einer Freundin in einer Berliner Straßenpizzeria. Wir hatten den Sonnentag am Wannsee genossen: über einen Zaun geklettert und auf einem Privatsteg rumgelümmelt, über die gekreuzigten Gartenzwerge in den Bäumen gelacht, gehofft, dass unser kleiner Einbruch unbemerkt bleibt.

Als dann abends die Push-Nachrichten auf unseren Handys aufleuchteten, versuchten wir sie zu ignorieren, doch als die ganze Brutalität klar wurde, war ich froh, dass eine Redaktion anrief und mich nach München schickte. Damit war der Abend gelaufen, aber so fiel es mir leichter, mit dem Entsetzen umzugehen.

Doch wovor habe ich überhaupt Angst? Persönlich weiß ich es nicht genau, die Bedrohung ist diffus, aber gleichzeitig so präsent, dass sie alles überschattet.

Und politisch? Vielleicht, dass es naiv war zu träumen, dass wir alle Brüder und Schwestern sein können. Wie umfassend Trump & Co. meine Naivität bedrohen, lässt sich nur erahnen, jedoch scheint das Gegenteil von Liebe und Ausgleich im Verzug zu sein.

Aber vielleicht bietet die Angst auch eine Chance und ich kann sie in diesen Blog überwinden, kanalisieren und als Antrieb nutzen, um zu verstehen, was Angst ist, was sie für unsere Gesellschaft bedeutet und vor allem, ob sie uns nicht sogar stärker machen kann.

Ich möchte Menschen treffen, die schon lange mit diesem Gefühl leben: Flüchtlingshelfer, die wegen ihres Engagements ausgegrenzt werden; Migranten, die mit Anfeindungen leben; Politiker, die seit Jahren bedroht werden.

Aber ich will auch eine Brücke schlagen und mit den Ausgrenzenden, den Pöblern und Drohenden sprechen,  fragen, ob auch sie Angst haben, probieren, ob wir uns verständigen können.

Vielleicht, im besten Falle, mache ich auf dieser Reise ein paar Schritte vorwärts, entdecke einen Weg, wie ich mit der Angst umgehen kann und kapiere vielleicht, welche unserer Angstreaktionen Auge in Auge mit dieser dunklen, sich vor uns auftürmenden Bedrohung die richtige ist – fliehen oder kämpfen.

        – Con Dao, Dezember 2016

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