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Ein paar Wochen nach der Wahl von Donald Trump musste ich einsehen, dass er mir Angst einjagt und da ich mich dem nicht ausliefern will, schreibe ich darüber: Woher die Angst kommt, die mir und meiner Generation sonst so fremd war. Woher die Angst der Trump- und AfD-Wähler kommt. Und was wir tun können, um in diesem verdammten Gefühl nicht zu ersaufen: fliehen oder kämpfen.

Den ersten Eintrag findet ihr ganz unten.


 

Der Anti-Ypsiloner

Es ist schwierig sich zu konzentrieren, den Nachrichtenoverkill auszusperren: Revolution. Konterrevolution. Wahrheit. Lügen. Geballte Fäuste. Gereckte Arme. Trump. Steinmeier. Petry – Kampfbegriffe und Kämpfer, die den Äther mit Großbuchstaben fluten.

Am Tag der Amtseinführung von Trump unterhielt ich mich mit dem Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann über die Generation Y. Er hat mehrere Bücher und Studien über uns geschrieben und ich wollte von ihm wissen, warum es sich dieses Mal so anders anfühlt, als bei früheren Katastrophen. Das Gespräch war ausschlussreich, doch ich kriege den Text nur schleppend in den Laptop, was nicht verwundert angesichts des Mediensturms, und beweist nur, dass es sich tatsächlich derzeit anders anfühlt als sonst, doch ich könnte auf diesen Beweis gerne verzichten.

Hurrelmann ist routinierter Interviewpartner und die meisten Journalisten scheinen sein Buch in der Vorbereitung nicht gelesen zu haben, jedenfalls betet er anfangs seine Standards runter: Die Generation Y wurde zwischen 1985 und 2000 geboren und erlebte „nach der Jahrtausendwende die Phase, in der Jugendliche hypersensibel sind und sich nicht nur mit sich selbst, sondern auch ihrer politischen und sozialen und wirtschaftlichen Umwelt auseinandersetzen.“

Für uns hieß das eine Krisendichte, wie selten zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg, angefangen mit dem 11. September 2001.

Ich saß an dem Tag am Computer meines Vaters und irgendwann kam eine Nachricht über ICQ: „Guck mal, da ist ein Flugzeug ins World Trade Center in New York geflogen.“ Ich wusste nicht, was das WTC war, dachte bloß: „Ha, blöde Amis“ und schickte wahrscheinlich so etwas wie „LOL“ zurück.

Als ich das erste Foto der brennenden Türme sah, ging ich in mein Kinderzimmer, schaltete den Fernseher ein, setzte mich aufs Bett und sah die Endlosschleife der beiden Flugzeuge, wie sie in die Hochhäuser krachten. Bald setzten sich meine Eltern dazu, erst sprechend, dann schwiegen wir alle. Wir aßen nichts und gingen auch nicht rüber ins Wohnzimmer, wo wir sonst fernsahen.

In den folgenden Monaten schockte uns dann der politische Wahnsinn, der in den USA ausbrach. Der Staat überwachte seine Bürger durch den PATRIOT ACT, präsentierte gefälschten Beweise über Massenvernichtungswaffen, schlug mit aller Macht die Kriegstrommeln.

Und zum ersten Mal ging ich demonstrieren. Vielleicht hundert Leute standen auf dem Bonner Marktplatz, es wurden Reden gehalten, alles ein bisschen enttäuschend, nicht gerade die packende Energie der 68er, aber letztlich ging der amerikanische Wahnsinn an uns vorbei. Angela Merkel wollte, dass deutsche Soldaten im Irak kämpfen. Gerhard Schröder war dagegen. Schröder gewann die Wahl.

2008 dann stürzte die Lehman Brother die Welt ins Chaos, die prägendste Erfahrung unserer Generation, meint Hurrelmann: „Das Schlimmste war die große Jugendarbeitslosigkeit, das Signal also, dass die Gesellschaft einen nicht braucht.“

Das Gefühl zieht sich auch durch mein Leben, obwohl ich 1985 geboren bin, der Finanz-Crash mich also nicht mehr ganz so erschütterte. Doch kürzlich unterhielt ich mich mit Schulfreunden und wir erinnerten uns alle an das ewig drohende: „Wenn ihr euch nicht anstrengt, bekommt ihr nach dem Abi keinen Job!“ Ich sehe noch die Gesichter der Lehrer vor mir, die uns das eintrichterten. Doch im Gespräch fiel uns auf, dass es eine leere Drohung war, fast alle sind irgendwo untergekommen, die meisten ganz gut.

Und ist es 2011 mit Fukushima nicht auch so gelaufen?  Panik griff nach dem Unfall um sich, doch Deutschland bekam nicht nur nichts zu spüren, sondern sogar den Atomausstieg. Und wenn wir mal Job oder Beziehung verlieren, können die meisten von uns bei ihren Eltern unterkriechen oder auf ein paar Euro hoffen. Hurrelmann teilt dementsprechend meine Einschätzung, dass wir eine grundlegend optimistische Generation sind. Es wird schon irgendwie gehen.

Trotzdem ist er überzeugt, dass die Krisen das Verhalten unserer Generation prägten: Stets alle Alternativen offenhalten, keine langfristigen Bindungen eingehen, immer beweglich bleiben. „Man will nicht zu denen gehören, die in der Sackgasse stecken, wenn sich irgendetwas verschiebt“, sagte Hurrelmann. „Eine opportunistisch-taktisch sondierende Grundhaltung kennzeichnet diese Generation.“ So sei es zumindest mit jenen 40 Prozent unserer Generation, die dank Abitur, Studium und Flexibilität ganz gut durch kommen, „idealtypisch und meinungsführend“ sind. Er hat auch ein Wort für uns erfunden „Egotaktiker.“

Nicht sehr sympathisch, dachte ich. Aber auch ich muss zugeben, dass ich im Beruflichen immer einen Plan B und C habe, falls mal wieder irgendein Redakteur absagt oder ein Projekt platzt.

Aber wenn Hurrelmann Recht hat, dann sollte uns Trump doch eigentlich kein Problem machen. Kann er wirklich schlimmer sein, als ein Terrorangriff mit Passagierflugzeugen, der Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems, oder eine dreifache Kernschmelze? Rührt die neue Angst also vielleicht nicht daher, dass wir uns physisch durch Trump bedroht fühlen, sondern, dass er an etwas rüttelt, was uns im Innersten ausmacht? Es scheint ein altmodischer Begriff, aber, frage ich Hurrelmann, was sind eigentlich die Werte der Generation Y? Wie steht sie zum Beispiel zu Angela Merkel?

„Quer durch die politischen Lager herrscht eine positive Einschätzung, weil Merkel für Stabilität, Offenheit und Authentizität steht. Auffällig ist auch, dass es politisch keine sehr starke Akzentsetzung links oder rechts gibt. Die Generation Y lebt einen sehr intensiven Trend zur Mitte, mit winzigem Ausschlag nach links. Vor allem sind sie starke Anhänger der demokratischen Idee.“

Ich fragte weiter in diese Richtung und Hurrelmann zeichnete das Bild einer recht offenen Generation. Es gäbe eine positive Einstellung zu Flüchtlingen und Migranten, „schließlich stammen 30 bis 40 Prozent der Peers aus anderen Kulturen.“ Der Holocaust sei immer noch ein mahnender Bezugsraum und im Bezug auf die Rechtspopulisten sagte Hurrelmann: „Verführbar ist die Generation nicht.“ Stattdessen: Gerechtigkeit, ethischer Konsum, Neugier auf Fremdes.

Kann es also sein, dass Trump uns so ängstigt, weil das bedroht, wofür wir als Menschen stehen? Hat das etwas mit Identität zu tun, diesem Begriff, mit dem ich im Bezug auf Politik nie etwas anfangen konnte, weil er so stark auf Abgrenzung basiert? Ist Trump der Anti-Y?

Immer wieder merke ich in letzter Zeit, wie sich meine politischen Einstellungen schärfen: Je krasser Trump in den USA und AfD hierzulande gegen den Wohlfahrtsstaat, gegen Muslime und die Demokratie hetzen, desto bewusster werde ich mir, was meine Werte eigentlich sind.

Ich ordnete mich immer als links ein und schrieb für den guten Zweck: für die Revolutionäre auf dem Tahrir-Platz, während meiner Zeit in Kairo 2011. In den Folgejahren in Beirut für die syrischen Opfer des libanesischen Militärs. Später dann für die Flüchtlinge auf der Balkanroute und in italienischen Flüchtlingslagern, für ausgebeutete marokkanische Arbeiter auf spanischen Biofarmen. Aber da folgte ich einfach meinem Gefühl.

Jetzt wird mir zunehmend bewusst, dass Ausgleich einer meiner zentralen Werte ist. Ich vermittele, wenn Freunde streiten oder gehe aus dem Raum. Dass ich die Europäische Union unterstütze, liegt an meiner Angst vor Krieg und daraus leitet sich auch ab, dass ich für Vermögenssteuer, für Erbschaftssteuer, für einen hohen Spitzensteuersatz bin, schließlich provoziert soziale Ungleichheit Spannungen. In allem, was ich tue, versuche ich Auseinandersetzung zu vermeiden. Gilt das für die ganze Generation Y, kann sie überhaupt Konflikt?

„Nein, kann sie nicht, das hat sie nicht gelernt. Sie hat nur gelernt zu taktieren, sich mit Raffinesse und Geschicklichkeit und vielleicht auch Charme und Trick aber auf jeden Fall fair und legitim durchzusetzen“, sagte Hurrelmann. „Das geht auch auf das Konto der Eltern, die ebenfalls auf Ausgleich setzten, die nicht dafür gesorgt haben, dass ihre Kinder lernten mal ernsthaft zu streiten und vier Tage hintereinander im Clinch zu liegen.“

Daran liegt es also auch vielleicht, dass wir uns in NGOs engagieren und auf Petitionen setzen, statt in Parteien zu arbeiten, in denen man mit Parteikollegen und politischen Opponenten Auge in Auge streiten muss. Der Altersdurchschnitt von SPD und CDU liegt bei 60 Jahren, bei der jüngsten Partei, den Grünen, bei 50 Jahren.

Doch jetzt rollt diese riesige Trump-Maschine auf uns zu, schon am ersten Tag unterzeichnete er Anweisungen, die Obamacare aushebelten, ließ alle Verweise zu Klimaschutz und LGBT-Rechten von der Website des Weißen Haus entfernen, bestätigte die Nominierung kriegsgeiler Generäle. Was sollen Petitionen, Initiativen und NGOs da ausrichten? Kein Wunder, dass ich mich hilflos fühle.

„Macht ist etwas, das in der Generation Y als tabuisiert gilt. Dass Politik Gestaltung von gesellschaftlichen Dingen ist und es dafür legitime Macht braucht, das ist nicht auf dem Schirm. Stattdessen kauft man gewisse Produkte nicht mehr, weil sie umweltschädigend sind. Das ist nicht unpolitisch, aber das ist kein aktiver Versuch Entscheidungen zu beeinflussen.“

Es scheint also, dass Trump und die Rechtspopulisten hierzulande mir deshalb solche Angst einjagen, weil sie radikal andere Werte vertreten. Es geht um meine Identität. Das wäre kein Problem, soll jeder machen, was er oder sie will, doch Trump & Co. vertreten diese Werte aggressiv, zwingen uns einen Konflikt auf und wir sind es nicht gewohnt damit umzugehen. Trump nutzt dafür seine präsidentielle Macht, die AfD ihre rhetorischen Brandbomben, ihr mediales Aufpeitschen und ganz handfest: ihre Bündnisse mit Rechtsradikalen, wie der Identitären Bewegung.

Am Ende unseres Gesprächs fragte ich Hurrelmann, wie unsere Generation mit Angst umgeht. Er zögerte kurz, als ob er sich der Tragweite seiner Antwort bewusst war, sagte dann: „Die wichtigste Strategie ist Verdrängen und Durchlavieren, um in einen Bereich zu kommen, wo man das Einstürzen der Kulissen nicht spürt. Wenn das nicht ausreicht, wollen wir mal schauen, ob es doch zu einer konflikthaften Auseinandersetzung kommt, was normal menschlich wäre, weil es zu den Grundmechanismen der Angstbewältigung gehört. Doch die größte Gruppe wird wohl mit Flucht reagieren.“

Wir führten das Gespräch einige Stunden vor Trumps Amtseinführung. Seitdem sind alleine in den USA gegen ihn über zehn Millionen Demonstranten auf die Straße gegangen, auch in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Heidelberg und München protestierten tausende von Menschen.

Die Märsche wurden auf deutschen Newswebsites schnell „Revolution“ und „Konterrevolution“ genannt. Ich habe dem erst nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, zu oft sind solche Proteste schon nach kurzer Zeit implodiert. Doch vielleicht haben sich die Menschen dieses Mal entschieden, dass Kämpfen statt Fliehen, die richtige Strategie ist.

#resistance

Auf meinem Handy läuft der Livestream von Trumps Amtseinführung, Menschen in schwarzen Autos, Luftaufnahmen des Publikums, amerikanische Flaggen. Nichts bewegt sich in mir, außer das typisch europäische Unverständnis über den amerikanischen Hang zur Grandesse.

Doch dann ist da Trump, wie er aus einer Limousine aussteigt und anfängt grinsend und winkend auf die Kamera zu zu gehen. Neben ihm laufen seine Frau Melania und sein Sohn Barron. Der 10-Jährige wendet  verschüchtert den Kopf zu den Massen, die links und rechts am Straßenrand stehen, er schlingert neben seinem Vater her, sucht Halt, doch dann richtet er sich mit jedem Schritt ein Stück weiter auf und schließlich hebt er die Hand, um dem Publikum zu winken, wie sein Vater. Eingerahmt werden die drei von dutzenden Secret Service-Agenten in schwarzen Anzügen. Die Kamera fährt mit Abstand vorne weg und so scheint es, als käme die Truppe auf mich zu, ohne mich je einzuholen, ohne dass ich weg könnte, wie in einem schlechten Alptraum.

Ich stehe im U-Bahnhof Hermannstraße in Berlin, schließe den Live-Stream. Ein Stück weiter den Bahnsteig runter steht ein junger Typ und spielt auf der Querflöte „Time to say Goodbye“. Ich öffne die Guardian-App, scrolle durch die News-Updates und entdecke das Foto einiger junger Demonstranten, die eine Straße runtermarschieren, bewaffnet mit einem Transparent, Trillerpfeifen und ihrer Überzeugung. Ich gucke in ihre Gesichter und bekomme eine Gänsehaut. An einer Brücke in New York hängt ein Banner: „Bridges not Walls“.

Ich klicke auf einen gefeaturten Twitter-Account und da sind mehr Fotos: junge Frauen und Männer, die sich vor den Eingängen zur Trump-Veranstaltung festgekettet haben, die dem Pfefferspray der Polizei trotzen, die einen Slogan brüllen: „We have nothing to lose but our chains!“ Ich muss Schlucken. Seit der Wahl von Trump hat mich nichts mehr so berührt. Vor mir kommt die Bahn zum stehen, die Türen öffnen sich. Ich steige ein.

Auf den Sonnenberg

Unbekannte schleuderten Steine durch das Fenster von Susanne Schapers Abgeordnetenbüro im Chemnitzen Stadtteil Sonnenberg. Sie sprühten „I love NS“ an die Fassade, zündeten die Fußmatte an und warfen ihr tote Ratten vor die Tür.

„Innerhalb von 17 Monaten gab es mehr als 20 Anschläge. Und da zähle ich nur die großen Attacken mit, nicht die vielen kleineren Vorfälle“, sagte sie der ZEIT im Osten im Interview. Kleinere Vorfälle sind Eimer voll Exkrementen, die ihr vor die Tür geschüttet werden oder wenn mal wieder die Tür aufgerissen wird und jemand reinbrüllt: „Drecksschweine!“

Irgendwann packte sie die Angst, auch wegen ihrer Kollegen: Ihr Wahlkreismitarbeiter hat einen kubanischen Vater, ihrer „zierlichen blonden“ studentischen Hilfskraft hat sie untersagt, alleine ins Büro zu gehen.

Chemnitz ist nur eine gute Autostunde entfernt von der Leipziger Kneipe, in der wir Freitagnacht saßen. Es waren die üblichen Verdächtigen: Eine Dramaturgin, eine Veranstalterin, eine Kulturjournalistin, eine Flüchtlingshelferin. Ich erzählte von Schaper und irgendwie kam die Idee auf: Lass uns ein Haus in Sonnenberg mieten und es im Sommer mit Musik, Ausstellungen, Journalismus, Essen und Trinken füllen.

Ich mag die Idee. Im Sommer interviewte ich Christoph Volkenand, der sich in Mecklenburg-Vorpommern gegen Rechts engagiert. Er erzählte, wie er in den Neunzigern nach Greifswald zog. Es war die Zeit, als Skinheads einen Zeltplatz überfallen und linke Jugendliche verprügeln konnten und es im Jugendamt danach hieß: Die Angreifer trugen die Haare bloß so kurz, weil es schließlich ein heißer Sommer sei.

Volkenand und seine Mitstreiter wollten den Rechten etwas entgegen setzen und organisierten ein Musikfestival auf dem zentralen Marktplatz. Zum ersten Mal kamen alle Linken, alle Alternativen und Punks zusammen, um zu saufen und zu feiern und Volkenand meinte, dass sie an diesem Tag begriffen, dass sie viel mehr sind, als die Rechten und dass an diesem Tag viel in Bewegung gekommen sei. Mittlerweile ist Greifswald ein links-liberales Studentenstädtchen.

Noch nicht wütend

Donald Trumps Zeigefinger stößt in die Luft, wie ein Raubvogel. Tack. Tack. Tack. „Don’t be rude! Don’t be rude!“, brüllt er einen CNN-Reporter nieder, dann: „You are fake news!“ Mit einem Kumpel sehe ich im Livestream, wie Trump sich zum ersten Mal seit seiner Wahl der Presse stellt und wir müssen lachen, witzig ist es nicht. Es verstört mich. Warum packt mich jedes Mal dieses Gefühl, wenn ich Trump sehe?

Professor Doktor Lars Koch steht vor dem Burger King im Dresdener Hauptbahnhof und lässt sein Smartphone in die Tasche gleiten. Ich treffe ihn, um durch Dresden, Deutschlands Angsthauptstadt, zu spazieren und dieser Frage nachzugehen. Koch ist Medien- und Literaturwissenschaftler an der TU Dresden, Herausgeber eines Handbuchs zum Thema Angst und Autor von Büchern wie „Horror als Kulturkritik: von Zombies, Untoten und anderen lebendigen Wiedergängern der neoliberalen Kontrollgesellschaft.“ Er, denke ich, sollte es irgendwie wissen.

Der Bürgersteig vor dem Bahnhof ist schmutziggrau vereist, Passanten mit eingezogenen Köpfen setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen, ein Bus bremst schwerfällig. Wir spazieren los Richtung Stadtmitte.

Woher kommt meine Angst, Herr Koch? „Ich glaube“, sagt der 43-Jährige, „es hat viel damit zu tun, dass die 80er und 90er Jahre, in denen wir sozialisiert worden sind, uns mit einem Grundvertrauen in die Vernünftigkeit und Funktionsfähigkeit der Gesellschaft ausgestattet haben.“ Ich muss an meinen Kumpel Suri denken. Er hatte an Silvester auch über Grundvertrauen gesprochen, meinte, er hätte bis vor kurzem immer geglaubt, dass die Dinge sich schon in die richtige Richtung entwickeln würden. Jetzt will er sich mehr engagieren.

Auch Koch will mit seiner Arbeit aufklären, statt das tausendste Buch über Goethes Wahlverwandtschaften zu schreiben, mischt er sich politisch ein, eine Einstellung, die ihm seine Eltern verpassten. „Deswegen wende ich mich popkulturellen Phänomenen zu, mit denen ja gerade auch die Kids täglich konfrontiert sind.“ Also: Zombies, Game of Thrones, Casting-Shows.

Und woher kam dieses Grundvertrauen?, frage ich. Koch holt aus: Die German Angst wurzelt im Dreißigjährigen Krieg, der das Territorium des späteren Deutschlands verwüstete. Gott wird etwas später von den Aufklärern getötet, die Kirche entmachtet, doch unter der hackenden Guillotine der französischen Revolutionäre stirbt auch der angebotene Gottesersatz: der Glauben an die Vernunft. Der Mensch fühlt sich alleingelassen im weiten Universum. „Seit dem Ende der Romantik kann man dann auch zeigen, dass deutschsprachige Autoren ein Faible für Apokalypsen haben“, sagt Koch. Demnach sei es  kein Zufall, dass es die deutsche Wandervogelbewegung um 1900 gewesen sei, die die ersten Warnungen vor dem ökologischen Untergang verfasst hätten. Parallel sehnt die Literatur vor dem Ersten Weltkrieg den Weltenbrand als Katharsis herbei. „Leute wie Ernst Jünger schrieben, man müsse durch die Angst hindurch vom banalen Mann zum eigentlichen Leben.“ Es brauchte Verdun, Stalingrad und Auschwitz, um die Deutschen von dieser Idee abzubringen.

Arnold Gehlen, Theodor W. Adorno und die Umweltbewegung in den 80er Jahren, interpretierten in der Folge den Angstbegriff um, forderten eine Gesellschaft und einen Staat, in dem der Mensch frei von Angst leben kann.

Und als die USA und die Sowjetunion Anfang der Neunziger aufhörten, Atomraketen aufeinander zu richten, lebten wir tatsächlich in ganz guten Zeiten,  wirtschaftlich ging es bergauf. Das sind dann auch die Jahre, denen das Grundvertrauen der Generation Y entspringt und dazu passen die Filme, die uns prägten: Star Wars, Herr der Ringe, Harry Potter. „Die funktionieren alle nach einem übersichtlichen Gut-Böse-Schema und am Ende siegt immer die Vernunft“, sagt Koch.

Wir sind durch die Shoppingstraße zum Altmarkt gelaufen, auf dem Pegida das erste Mal demonstrierte. Im Schnee liegt ein schwarz-weißer Flyer, auf dem steht: „Merkel muss weg.“ Gegenüber verhüllen Gerüste die Fassade des Kulturpalasts, verstecken ein Stück gebrochenen DDR-Stolz. Wir gehen weiter, vorbei an der Frauenkirche, die im alliierten Bombenangriff verbrannte, genau wie große Teile der Stadt. Dresden kennt die Angst.

Koch will in ein kitschiges Café gehen, eine Erfahrung, die man machen muss, sagt er mit einem Lächeln. Das klassische Dresden ist zur Gruselveranstaltung für Leute wie uns geworden, denke ich. Doch das Café wird gerade renoviert und Koch sagt: „Lassen sie uns dann einfach tapfer weiterlaufen in die Neustadt und da einen Kaffee trinken. Die Neustadt ist so etwas wie das Kreuzberg Dresdens und da wohne ich auch.“ Im Weitergehen nimmt er den Faden wieder auf.

Am Elbufer. Foto: Thomas Victor

Der Sommer unserer Jugend endete, als die Dotcom-Blase platzte, kurze Zeit später zwei Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen und Gerhard Schröder die Hartz IV-Reformen durchzog und damit den neoliberalen Turn vollzog, der sich mit der zunehmenden Globalisierung potenzierte. George W. Bush peitschte nach 9/11 die Angst der amerikanischen Bevölkerung in panische Höhen, um den Irakkrieg zu rechtfertigen und Schröders Politik schrie der deutschen Mittelschicht ins Gesicht: Du musst kämpfen, sonst bist du erledigt.

Die Zukunft wurde für viele zum Angstraum. „Der zentrale Aspekt dabei ist die neoliberal implementierte Abstiegsangst. Davon erzählt auch jede Casting-Show: The Winner takes it all!, und der zweite und dritte fallen raus und erleiden den Soziale-Medien-Tod, die werden nie wieder gesehen“, sagt Koch. Ebenfalls symptomatisch ist die große Beliebtheit von Auswanderer-Shows, die mit ihrem Prinzip Einfach-den-ganzen-Scheiß-hinter-sich-lassen-und-abhauen, einen Traum von Flucht bedienen, den viele hegen.
Dabei ist Angst immer diffus, fühlt sich ungreifbar an, drückt gleichzeitig in der Brust und scheint ihren Träger überall zu umgeben, so dass er oder sie ihren Ursprung nicht bekämpfen, nicht vor dem Gefühl fliehen kann. „Außerdem führt Angst bei den meisten Menschen dazu, dass sie immer vom schlimmsten Fall ausgehen“, sagt Koch. 2015, als Flüchtlinge über die Autobahn von Ungarn nach Österreich laufen und die Filmaufnahmen in deutsche Wohnzimmer schwappen, bricht sich die diffuse Weltangst an der Gestalt des Flüchtlings, sie verwandelt sich zur Furcht. Furcht hat, anders als Angst, eine benennbare Ursache und damit ein Ziel, dass sich bekämpfen lässt, in diesem Fall der Flüchtling, der zum Sündenbock gemacht wird.

„Es gibt eine popkulturelle Zirkulation von Bildern, die bestimmte politische Prozesse und Lösungsvorschläge plausibler machen. So werden in Filmen, die Zombies und Mauern thematisieren, immer auch Flüchtlingsnarrative verhandelt“, sagt Koch, um auf sein Spezialgebiet zurückzukommen. „Und solche Filme häufen sich in den vergangenen fünf, sechs Jahren. Das heißt nicht, dass wir jetzt Pegida haben, weil es den Film World War Z gibt. Aber es hat damit zu tun.“

Ich mag Zombiefilme. Dawn of the Dead vertrieb uns Sonntagsmorgens oft den Kater, als mein Bruder und ich noch zusammen wohnten. World War Z guckte ich kürzlich noch mit meiner Schwester. Trotzdem bin kein Fremdenfeind, doch Koch sagt, dass die Filme unterbewusst etwas vermitteln: Die Zombies sind die Fremden, die unsere heile Welt stürmen. Dagegen helfen nur Mauern, hohe Mauern, wie Trump sie an der mexikanischen Grenze errichten will. Und auch in Game of Thrones, der erfolgreichsten Serie aller Zeiten, hält eine Mauer die Zombie-Combo White Walkers zurück, die die Menschen mit der „Langen Nacht“ bedrohen. Dazu kamen in den vergangenen Jahren etliche weitere Filme: Walking Dead, 28 Days Later, The Colony, Land of the Dead, Resident Evil, Resident Evil Extinction, Resident Evil Apocalypse. Der letzte Satz bei World War Z lautet: „Be prepared for anything.“

Und das ist der Auftritt der Rechtspopulisten, die den Verängstigten gegenübertreten, wie der Vater, der seinem weinenden Kind sagt: Nein, da ist nicht ein Monster unter deinem Bett. Da sind drei. Deswegen ist Koch auch überzeugt, dass das Level der Angst seit 1945 nicht mehr so hoch war, wie heute. Der Atomkrieg, das Waldsterben, die Ölkrise: Dagegen konnte man nichts tun, nur sich wegducken und hoffen. Doch die Angst gegenüber Flüchtlingen wird aufgepeitscht, in den sozialen Medien und durch Journalisten und Politiker. Sie wächst und sucht sich konkrete Ziele. „Dabei arbeiten Rechtspopulisten gerne mit dem Postfaktischen, mit Gerüchten und Verschwörungstheorien“, sagt Koch.

Und das scheint es zu sein, was mir diese Angst einjagt. Klar wurde uns nach der Schule gesagt, dass wir alle keine Jobs kriegen, wenn wir uns nicht anstrengen, die Rente ist nicht sicher und da draußen ist irgendwo der Klimawandel. Aber ich war immer überzeugt, dass Vernunft in der Welt herrscht, dass es um Argumente geht und es deswegen schon grob in die richtige Richtung geht.

Und jetzt steht Trump auf seiner Pressekonferenz und schimpft einen Journalisten aus, ruft, dass dieser nicht „unhöflich“ sein soll. Der gleiche Trump, der ständig betrügt und stolz darauf ist, der damit prahlt, Frauen gegen ihren Willen zwischen die Beine zu greifen, der Behinderte verspottet, Mexikaner und Muslime beschimpft, er, der große Lügner brüllt einem angesehenen Journalisten ins Gesicht: „You are Fake News!“

„Trump funktioniert nach einer anderen Rationalität“, sagt Koch „und das ist eine Angstquelle, diese Unsicherheit und Nicht-Kalkulierbarkeit. Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen, das müssen wir noch lernen. Doch Trump macht uns nicht nur Angst, sondern macht uns vor allem auch wütend, weil diese geballte Form der Inkompetenz mit dieser Arroganz der Macht verknüpft wird.“

Nein, denke ich, wütend bin ich noch nicht. Da sind mir die Flüchtlingsfeinde einen Schritt voraus. Ihre Wut sucht sich zwar das falsche Ziel, selbst wenn der letzte Migrant Deutschland verlassen hat, herrscht immer noch der Neoliberalismus, aber sie haben einen Ziel und das hilft mit der Angst umzugehen, ich hingegen kann angesichts meiner Angst noch nicht mal entscheiden, was zu tun ist: fliehen oder kämpfen?

Silvester

An Silvester machte die Albertina nicht auf, weswegen ich das Handbuch der Angst nicht zu Ende lesen konnte. Stattdessen blätterte ich in Georg Büchners Briefen von 1834-35, die schienen wie ein ewiges Protokoll von politischen Verhaftungen seiner Freunde.

Dann Rainer Maria Rilkes „Die Aufzeichnunge des Malte Laurids Brigge“ zur Hand genommen. Auch dies ein Buch, das für die Angst einer unübersichtlichen Epoche steht. Schlimme Stelle, als der Vater des Erzählers im Sterben liegt, aber nicht loslassen kann, stattdessen so laut schreit und schreit und schreit, dass die Leute im Dorf nicht schlafen können, der Bauer der kalbenden Kuh ihr Junges samt Gedärme rausreißt. So schlimm wie damals, dachte ich, ist es wohl heute noch nicht. Zumindest ist die Literatur weniger düster.

Abends dann zum Bahnhof gelaufen, um nach Berlin zu fahren. Die ersten Böllerexplosionen zerrissen die Nacht und ich musste an die syrischen Flüchtlinge denken, die das an ihre Heimat erinnert, an die syrischen Kinder, die sich jetzt in ihren Traumata winden, die Bilder zerfetzter Geschwister vor Augen. Ist es also doch schon so schlimm, dachte ich weiter, leben wir Deutschen bloß auf einer Insel der Glückseligen, während anderswo die Büchners und Rilkes längst die Zeit vermessen?

Aber vielleicht ist Silvester tatsächlich immer auch eine Chance, neu anzufangen, zumindest war ich die vergangenen Tages erstaunlich unbeschwert, was auch mit dem Silvesterabend selbst zu tun haben kann.

In Berlin mit alten Freunden Raclette gegessen. Leo, der Kumpel, der mich am Trump-Wahlwochenende besuchte und am Morgen der Wahl lachend in mein Zimmer stürzte, war auch da und wir hatten uns seit der Wahl nicht mehr gesehen.

Als er mich besuchen kam, hatte ich mich auf ein entspanntes Wochenende gefreut, normalerweise lachen er und ich ununterbrochen zusammen, doch stattdessen führten wir schmerzhafte Diskussionen über Politik. Leo hatte sich in den vergangenen ein, zwei Jahren viel mit sich selbst, weniger mit dem Außen auseinandergesetzt. Ich fühlte mich in meiner politischen Verzweiflung unverstanden und wurde sauer, argumentierte, dass wir Verantwortung übernehmen müssen, dass man sich einbringen muss, um das Schlimmste zu verhindern. Doch wir kamen auf keinen gemeinsamen Nenner und ich fühlte, dass Politik unsere Freundschaft entzweit. Später begriff ich, dass meine Wut unfair war, dass ich niemandem meine Lebensweise aufdrängen kann.

Am Silvesterabend standen er und ich einige Minuten allein in der Küche und sprachen zum ersten Mal seit dem Wochenende miteinander. Er erzählte mir, dass er sich als Genosse bei der GLS-Bank eingekauft habe, bei Greenpeace-Energy und dass er in einer solidarischen Landwirtschaftsgruppe mitarbeiten werde. Es seien auch unsere Gespräche in Leipzig gewesen, die in ihm den Impuls weckten, sich wieder mehr zu engagieren.

 

 

Um Mitternacht standen wir auf der Dachterrasse, lachten und duckten uns unter den explodierenden Raketen weg. Als es ruhiger wurde, sagte Suri, ein anderer Kumpel, dass er bis jetzt immer auf unsere politische Institutionen – selbst die Polizei! – vertraute, dass sie schon dafür sorgen würden, dass sich unsere Gesellschaft grob in die richtige Richtung entwickelt. Mittlerweile fühlt er sich bedroht und will sich engagieren. Er weiß nur noch nicht wo.

Aber mir geben die Gespräche ein bisschen Hoffnung für 2017. Vielleicht kommen wir ja auf die Füße. Kämpfen statt fliehen.

Beschwingten Schrittes

Durch die kleine Lücke zwischen Vorhängen und Wand strahlte mir heute Morgen der winterblaue Himmel entgegen, die Sonne tauchte die Hausfassade gegenüber in goldenes Licht. Aus dem Bett gesprungen, in der Dusche die Melodie in meinem Kopf enträtselt, „Here Comes The Sun“ von den Beatles aufgelegt, zur Albertina gelaufen, auf dem Weg dahin die anderen Leute mit fröhlichem Pfeifen genervt, das Handbuch der Angst weiter gelesen. Ein paar besonders funkelnde Stücke aus der heutigen Beute:

  • Dadurch, dass Angst eine anthropologisch gegebene und garantierte menschliche Eigenschaft ist, bietet sie Angstunternehmern (Firmen, Journalisten, Therapeuten, Klima- und Terrorexperten, etc.) eine nahezu frei und kostenlos verfügbare Ressource im Überfluss, die nur noch angezapft und ökonomisch genutzt werden muss. Dabei wird Angst im Marketing als  wirksamer angesehen, als Sex, weil der Konsument noch vor allem Genuss am Überleben interessiert ist.
  • Kein Affekt ist ansteckender als die Angst. Bei großer Ansteckung kommt es zu Panik. Im Zustand der Panik ist das Individuum nur am eigenen Überleben interessiert, agiert hyper-egoistisch, gleichzeitig ist es ferngesteuert durch die Masse, in der es sich bewegt.
  • Jegliche Utopie wirkt lächerlich, wenn es einem Individuum/einer Gesellschaft in diesem Augenblick erst mal darum geht „das Schlimmste zu verhindern“.

Abends um acht raus aus der Bibliothek und mit den ersten Schritten durch die frische kalte Luft schwappte wieder gute Laune durch mich hindurch. Peinliche Hip HopKlassiker voll aufgedreht. Kann es nur so erklären, dass alles, was ich da lese zwar gruselig ist, aber das Verstehen Löcher in den Schleier des Unheimlichen schneidet.

Durch die Nacht

Weil ich zu geizig war, eines dieser teuren Lehrbücher zu kaufen, bin ich heute in die Albertina, die altehrwürdige Bibliothek der Universität Leipzig gegangen. Das Buch, das ich suchte war: „Angst: Ein interdisziplinäres Handbuch“, ein Parforceritt durch Philosophie, Anthropologie, Wirtschaft, Psychologie, und Literatur, so dicht geschrieben, dass ich für je zehn Seiten eine Stunde brauchte und wenn ich überhaupt irgendetwas verstanden habe, dann, dass das Thema noch viel mehr Raum greift, als angenommen.

Ich habe einige Begriffe mitgeschrieben, die im Zusammenhang mit Angst auftauchten und die untenstehende Auswahl vermittelt vielleicht einen Eindruck, wie sehr das Thema ausufert:

 

Angst – Lachen

Angst – Ohnmacht

Angst – Fremd

Angst – Staunen

Angst – Phantasie

Angst – Atom

Angst – Verzweiflung

Angst – Freiheit

Angst – Unruhe

Angst – Panik

Angst – Anthrax

Als es schon dunkel war, durch den stillen Park nach Hause gelaufen und meinen Agentur-Kollegen Erdmann Wingert angerufen. Zu meinen bisherigen Blogeinträgen hatte er mir gestern folgende Sätze gemailt: „da sucht  Inhalt nach  Form und zerstreut sich in Form interessanter Häppchen im Abseits. Konkret, Du brauchst eine Handlung, die sich nicht in Zufallsbegegnungen erschöpft, sondern eine stringente Linie verfolgt.”

Patsch, voll rein in die Angst der letzten Tage, die Angst, dass das hier nicht funktioniert; und dann ausgerechnet von Erdmann, der Boxen in dunklen Hinterzimmern lernte („Erst erleben, dann drüber schreiben!“), unter der späteren RAF-Frontfrau Ulrike Meinhof für das Magazin Konkret berichtete, mit den Naturschützern von Robin Wood Schornsteine erstürmte und später Textchef beim Zeit Magazin wurde, bevor er mit seiner Pensionierung vor, ich glaube, 25 Jahren zur Agentur kam, um selbst aus den holprigsten Absatzfolgen Texte zu schleifen, die schon mal geschmeidig-kompakt daherkommen, wie kalte Jade.

Am Telefon akzeptierte er in seiner versöhnlichen Art dann jedoch meine Einwände, dass da noch mehr journalistische Fleißarbeit, weniger Nabelschau kommen soll.

Als erstes will ich versuchen, den Herausgeber des Angst-Handbuchs Lars Koch auf einen Spaziergang zu treffen, er lebt ausgerechnet in Dresden.

Der Mann, dem ich vor zwei Wochen drauf gefahren bin, lebt ebenfalls in Dresden. Er wurde in Italien geboren, seine Frau in Polen. Ich fragte, wie er die Stadt fände. Er, gestanden-modischer Mittelklasse-Mittfünfziger, war plötzlich unsicher, sagte: „Naja, geht so. Sie wissen ja, was da in letzter Zeit los ist.“

Dass Rassismus in Dresden grassiert, überrascht ja keinen mehr. Letztens noch einen Bericht über eine Kopftuchträgerin gelesen, in dem stand:

„Einmal habe ein etwa elfjähriger Junge sie gefragt, ob sie Auschwitz kenne. „Als ich das bejahte, sagte er nur: ‚Du wirst dort enden.’“

Was aus der Frau wurde, stand da nicht. Aber, dass der Hass auch schon Italiener und Polen verunsichert, hätte ich nicht gedacht. Deswegen soll das auch Teil dieser Recherche sein: Menschen treffen, die den Trump-Schock kennen, weil sie schon lange in einem Klima der Angst leben.

Eben dann noch lange mit meiner Mitbewohnerin Debo in der Küche unterhalten und sie meinte zu recht: „Die Albertina ist ein völlig angstfreier Ort.“ Tatsächlich bewegt man sich dort völlig frei, schlendert, guckt, versinkt im Buch, sieht kein Links, kein Rechts. Wahrscheinlich deshalb, weil unsereins die kulturellen Codes dort zu hundert Prozent kennt, nichts Fremdes stört. Das mag für einen Erstsemester nicht gelten, galt für mich früher auch nicht. Aber seitdem spüre ich Angst, dieses „durchbohrende“ „frei flutende“ (Handbuch der Angst!) Gefühl, dort nicht mehr.

Walther, Herrndorf, Weihnachtsmarkt

Traum: Im Nebenzimmer wird jemand, den ich kenne, vergewaltigt. Als nächstes soll ich dran sein. Ich ziehe eine Pistole aus meinem Rucksack, hektisch wühle ich nach dem Magazin, kann es jedoch nicht finden. Traum Ende.

Interessant, wo solche Träume immer wurzeln, wo die Pistole und die Ohnmacht herkamen:

In den vergangenen Tagen habe ich Wolfgang Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ gelesen. Nach seiner Hirntumor-Diagnose installiert er eine „sehr plastisch vorgestellte Walther PPK“ in seinem Kopf, um aufsteigende Todesangst  abzuknallen: „Peng, peng.“

Gestern las ich ein Interview mit dem Psychologen Stephan Grünewald, der sagte: „Die Ohnmacht, die wir nach einem solchen Anschlag erleben, ist ja schwer auszuhalten.“

Weihnachtsfeier

Gestern Nacht nach der Zeitenspiegel-Weihnachtsfeier kurz vor dem Einschlafen oder im Traum zu einer dieser unumstößlichen, trunkenen Erkenntnisse gekommen, zu einem dieser Gedanken, die etwas körperlich-materielles haben, einer dieser Welterkenntnismomente, die nur im Zwischenbewusstsein gedeihen: Ich will nicht über Angst, sondern über Liebe schreiben.

Und dann heute Morgen während der Zugfahrt in einer Obdachlosenzeitung gelesen: Das Herz ist das erste, was in unserem Körper anfängt sich zu bewegen.

Selbstmord aus Angst vor dem Tod

In Stuttgart gestern Abend mit einer Sozialarbeiterin auf ein Glas Wein getroffen. Als sie auf Toilette ging, zog ich mein Handy aus der Tasche, um irgendwas nachzuschauen und sah die Eilmeldung aufleuchten: „LKW rast in Weihnachtsmarkt.“

Ich drückte die Nachricht mit aller Gewalt aus meinen Gedanken, wollte mir nicht schon wieder einen Abend versauen lassen. In Berlin gibt es sowieso zu viele Reporter, niemand würde mich hinschicken, also kann ich jetzt nichts machen, muss mich nicht damit beschäftigen.

Trotzdem: Die Worte meiner Gesprächspartnerin drangen zwar an mein Ohr und ich nickte, doch immer wieder wurden sie von den Gedanken in meinem Kopf übertönt. Weißwein und Obstler regelten sie runter.

Heute Morgen in der U-Bahnstation bemerke ich wieder die veränderte Wahrnehmung: Ein Mann mit dunklen Haaren und Fusselbart kommt auf mich zu, ich gucke, wie lang seine Hose ist, ob es die salafistischen sieben Achtel sind.

Was den Schreck über den Anschlag dann verstärkte waren nicht die grausigen Details, die die Newsticker verbreiteten, sondern was den Schreck seitdem ins Mark treibt, ihm diesen dunklen Schleier verpasst, der ihn unheimlicher, unbegreiflicher, größer macht, sind drei offizielle Verlautbarungen, die meiner Phantasie so viel mehr Futter geben, als die Bilder des verwüsteten Weihnachtsmarkts:

Auf einer großen Anzeigentafel in der Nähe des Tatorts und auf Twitter schreibt die Polizei: „Bleiben Sie zuhause und verbreiten Sie keine Gerüchte.“

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), spricht nach dem mutmaßlichen Anschlag in Berlin von einem „Kriegszustand“. Der saarländische Innenminister sagte am Dienstag dem Saarländischen Rundfunk: „Wir müssen konstatieren, wir sind in einem Kriegszustand, obwohl das einige Leute, die immer nur das Gute sehen, nicht sehen möchten.“

Today there were terror attacks in Turkey, Switzerland and Germany – and it is only getting worse. The civilized world must change thinking! @realdonaldtrump

Was ist das: Orwell, Orwell und Orwell?

Erst mal dieser Big Brother-Duktus der Berliner Polizei, den man sich einfach mal laut vorlesen muss: „Bleiben Sie zuhause und verbreiten Sie keine Gerüchte.“

Dann die Verdrehung von Gut und Böse bei Bouillon, der den Krieg ausruft, also eifrig Erfüllungsgehilfe spielt für die kriegträumenden Dschihadisten und dann allen Dummheit vorwirft, die für Versöhunung arbeiten.

Und zuletzt Trump, der das Paradox auf die Spitze treibt und die „zivilisierte Welt“ auffordert unzivilisiert zu handeln, um die unzivilisierte Welt zu besiegen. Kann Selbstmord tatsächlich die Antwort auf Angst vor dem Tod sein?

 

Furcht und Angst

Eben saß ich im Zug einer Pädagogik-Studentin aus Freiburg gegenüber und wir kamen ins Gespräch. Nach der Schule machte sie eine Ausbildung als Gymnastiklehrerin, arbeitete im Anschluss in einem Schwarzwälder Spa-Hotel, kündigte dann jedoch nach einem halben Jahr, weil sie nicht jedes Wochenende arbeiten wollte und begann  ihren Bachelor. Typisches Generation Y-Ding: Wenn die Arbeitszeiten nicht stimmen hau ich ab und was lernen ist immer gut.

Im Gebäude neben ihrer Fakultät gibt es ein Willkommenscafé, sie hospitiert in einer Deutschklasse für Flüchtlinge, jeden Tag fährt sie mit ihrem Fahrrad durch den Park, in dem im Oktober die Studentin Maria L.  vergewaltigt und ermordet wurde.

Das alles erzählte sie mir, nachdem ich sie gefragt hatte, was sie als schlimmer empfunden habe: Die Wahl Trumps, oder den Mord. Ihre Antwort lautete: Trump.

Sie wusste, dass die Antwort, wenn nicht widersprüchlich, so doch überraschend ist und hatte darüber nachgedacht: Irre Mörder habe es schon immer gegeben, sagte sie, an Trump jedoch ängstigt sie, dass sie nicht weiß, was auf sie zukommt, das Unbestimmte, Unfassbare.

Kierkegaard hat diesen Unterschied zwischen Furcht und Angst als erster auf den Punkt gebracht (steht in diesem Buch): „Man findet den Begriff Angst kaum jemals in der Psychologie behandelt, ich muß deshalb darauf aufmerksam machen, dass er gänzlich verschieden ist von Furcht und ähnlichen Begriffen, die sich auf etwas Bestimmtes beziehen, während Angst die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit ist”

Soll heißen: Furcht richtet sich immer auf einen Gegenstand. Angst hingegen gilt nichts Bestimmtem, sondern etwas Unbestimmtem. Angst tritt auf, wenn die Welt ihre Vertrautheit verliert, wenn sich die Achsen verschieben und man die Orientierung verliert.

Was ich im Gespräch mit der Studentin bezeichnend fand: Besonders ängstigt sie der Gedanke, mithilfe von Big Data, Psychometrik und sozialen Medien manipuliert zu werden. Anfang Dezember argumentierte ein Artikel, dass Trump die Wahl auf diese Weise gewonnen habe. Der Artikel ist in den nachfolgenden Tagen kritisiert und teilweise widerlegt worden, aber das Gefühl bleibt, dass wir die Machtverhältnisse in den sozialen Medien, in denen wir einen großen Teil unseres Lebens verbringen, nicht durchblicken, dass wir dort Gefahren ausgeliefert sind, die wir nicht kennen.

Und so ist es auch im Fall von Trumps Erfolg, der Studentin und mir: dass so viele Menschen so hasserfüllt und wütend sind, hatten wir nicht auf dem Schirm, wir waren überzeugt, dass mehr oder weniger Konsens über Minderheitenrechte bestünde. Trump packt diese Überzeugungen und bricht ihnen das Genick und wir haben noch keine Ahnung, was das alles bedeutet. Aber es macht Angst.

 

 

Freunde

Freunde und Bekannte erzählten mir in den vergangenen Tagen immer wieder, wie sie die Trump-Wahl erlebten:

L., Medizinstudentin, liest seitdem keine Nachrichten mehr, weil sie sich so hilflos fühlt.

I., Fotografin, ist mit einem Israeli verheiratet, der sagte sinngemäß: „Ihr Europäer mit eurem Frieden. Wir sind da ganz Anderes gewohnt.“ Das beruhigte sie ein bisschen.

P., Journalistin, die gerade mehrere Monate im Ausland recherchierte, schrieb nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses mehreren Freunden, dass sie Angst habe. Ihre Erklärung: Weil sie eine offene Person sei, die gerne auf Menschen zugehe. Selbst in Ländern, die für Frauen gefährlich sind, geht sie raus, redet mit den Bauern, den Politikern, den Milizführern. Jetzt hat sie Angst, dass die Rechtspopulisten so viel Misstrauen in unserer Gesellschaft sähen, dass sie selbst nicht mehr so offen sein kann, wie sie möchte.

Einen auf den Schreck

Gestern, kurz nachdem ich fertig mit dem Schreiben war, kam Thomas vorbei, um einen Schnaps zu trinken. Einen auf den Schreck. Von Thomas hatte ich das Auto geliehen.

Auf zwei Whiskeys kamen drei Wodka. Das war 18 Uhr. Um Mitternacht waren die jeweils halb vollen Flaschen fast leer. Um 6 Uhr morgens stand ich in einer goldenen Pailletten-Hose an einer Bar.

Jemand fragte: „Warum zitterst du so?“ Weil ich seit zwölf Stunden trinke, sagte ich, und schob es  vor allem auf das Bier, das ich mir gerade bestellt hatte. Bis jetzt war ich – zwecks Kater-Prophylaxe – bei Schnaps geblieben und bestellte mir dann auch wieder Wodka, weil ich das für das beste Mittel gegen das Zittern hielt. Heute ist die Wahrnehmung wieder normal, der Schreck weg. Ob er wiederkommt?

Nachtrag: In einem Buch über die Generation Y lese ich gerade zufällig unter der Überschrift „Wenn die Stressabwehr versagt“:

„Aggression und die Flucht aus der Verantwortung sind zwei Reaktionen, wenn die Stressabwehr versagt.“ Irgendwo stand auch was mit Flatrate-Trinken – mh, surprise!

Und weiter: „Angriffe nach außen, körperliche, verbale und/oder psychische Schwächung, Demütigung oder Verletzung anderer Menschen als Antwort etwa auf wiederholtes Versagen in der Schule kennt auch die Generation Y. Sie sind auch für sie Ersatzhandlungen für ein Gefühl der Dominanz, das durch das Scheitern eigentlich verloren ist – vor allem, wenn es für alle öffentlich sichtbar wird. Deshalb verschaffen sich vor allem junge Leute mit niedrigem sozialen Status in der Schule und unter Gleichaltrigen so Entlastung und Ausgleich.“

Alles kein neuer Gedanke, wie das Buch ja richtig zugibt, aber wenn man den Autoren glaubt, ist die Generation Y schulisch auf Leistung gedrillt, wie keine zuvor. Uns wird eingebläut: schlechte Noten, kein Job, denn schon für die Lehre zum Fleischfachverkäufer braucht’s Abitur.

Das würde auch erklären, warum die AfD unter jungen Wählern so beliebt ist und warum in Mecklenburg-Vorpommern  bei der Landtagswahl 2011 jede/r Dritte unter 34 Jahren mit Hauptschulabschluss die NPD wählte.

Ich hab mir nach dem Unfall einen reingestellt und diese beiden Texte geschrieben und die Welt scheint wieder in Ordnung zu kommen. Aber das war ja auch nur ein einziger Unfall in einunddreißig Jahren. Sind AfD & Co gerade für jene Ypsiloner interessant, denen seit Jahren einer in die Parade fährt, die im neoliberalen Hochleistungsspiel versagen und das auf Facebook, Snapchat, Instagramm täglich gespiegelt bekommen, dient das Anti-Establishment-Getöse der Rechtspopulisten als stellvertretende „verbale und/oder psychische Schwächung, Demütigung oder Verletzung anderer Menschen“?

Der Unfall

Gerade einen Auffahrunfall gehabt. Auf der A4 Richtung Bautzen drängelte sich ein Mercedes vor meinen Vordermann, dann stockte plötzlich der Verkehr. Der Mercedes bremste. Mein Vordermann bremste. Ich bremste. Dann knallte jemand in mein Heck und schob mich in den Vorausfahrenden. Bei den anderen beiden fetzte die Stoßstange ab, bei mir zischte der Kühler, Kühlwasser tropfte auf die Straße.

Gesundheitlich geht es allen weitgehend gut. Eine Frau wurde später vom Krankenwagen abgeholt, weil sie ein Drücken in der Brust spürte, aber ihr Mann vermutete, es sei nur der Schock.

Schock, so fühlt es sich an. Der Mann aus dem vorderen Auto lief direkt zu mir rüber und steckte sich eine Zigarette an. Ich fragte auch nach einer. Wir standen dann, bis die Polizei kam, mit diesem komischem Körpergefühl: Puls hoch, Muskeln angespannt, Gedanken im rasenden Stillstand.

Die Polizei raste mit Blaulicht ran, sperrte alle Spuren und bugsierte uns auf den Seitenstreifen, schrie ein bisschen rum, belehrte uns über Sicherheitsabstände und nahm unsere Papiere. Langes Warten und dann Fragen beantworten. Dann der Abschleppdienst und zur Werkstatt. Unterwegs mit dem Kumpel, dem das Auto gehört, telefoniert, was zu tun ist. Dann zum Bahnhof gelaufen, um zurück nach Leipzig zu fahren.

Eigentlich ist nicht viel passiert. Es wird was kosten, aber das ist nur Geld. Gesundheitlich geht es allen gut. Aber dann wieder das gleiche Empfinden, wie nach Trump: erst der Schock, das PAMM! und das Adrenalin, dann kommt die Angst, die veränderte Wahrnehmung, die Bedrücktheit, sie drückt in den Gliedern und in der Brust.

In Leipzig kuppelte der ICE, in dem ich saß, einen weiteren Waggon an. Die Schaffnerin bat alle, sich festzuhalten, weil es Rappeln würde. Das Rappeln fühlte ich stärker an, emotionaler, als ich es sonst spüren würde, genauso der gedrängte Verkehr auf der dreispurigen Straße vor dem Hauptbahnhof und die schiebenden Massen auf dem Weihnachtsmarkt. All das fühlt sich beklemmender an, als es sollte. All das ist nicht nur Hintergrundgeräusch und –bewegung, sondern plötzlich liegt darauf der Fokus.

Erklärt das auch meine Reaktion auf Trump? War nicht die Wahl auch ein PAMM!, ein Schock, der meine Wahrnehmung der Welt verändert hat? Wirken die Bedrohungen plötzlich unverhätnismäßig groß, während ich Positives übersehe? Ist das alles nur Teil des historischen Auf-und-Ab, dessen Grundtendenz generell steigend ist und dem ich gelassen zusehen sollte?

Oder muss ich, weil ich bei der Wahlprognose falsch lag, auch meine grundlegenden Ansichten über die Welt überdenken. So wie Kretschmann das jetzt will: „Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben!“ Kann die Angst also guter Ratgeber sein, dem ich nur zu selten zuhöre?

Bis jetzt bin ich ohne sie gut gefahren. Bis auf dieses eine Mal. Heute Morgen.

Die neue Angst

Ich habe Angst. Und ich habe Angst aufzuschreiben, dass ich Angst habe, weil ich sie dann anerkennen muss. Ich war immer der Furchtlose: mit gefälschtem Redaktionsschreiben ein Journalistenvisum beantragen, um über die libysche Revolution zu schreiben. Alleine durch Kundus, um den Verrat der Bundeswehr an ihren afghanischen Übersetzern zu recherchieren. Getarnt als Syrer aus italienischen Flüchtlingslagern über Misshandlungen berichten.

Und jetzt? Seit dem 9. November ist mein Brustkorb eng, ein fester Knoten drückt in der Magengrube. Am Tag der amerikanischen Präsidentschaftswahlen ging ich um drei Uhr morgens ins Bett, dachte, Hillary würde das Kind schon schaukeln.

Am nächsten Morgen stürmte ein Kumpel in mein Zimmer, riss die Arme hoch und rief: „Trump! Trump! Trump!“ Es war witzig gemeint.
 Später rief meine Mutter an, so, wie sie es immer tut, wenn Schreckensmeldungen sie beunruhigen – Germanwings-Absturz, Anschlag in Ansbach, Putsch in der Türkei – und sagte: „Sonst kannst du mir doch auch immer etwas beruhigendes sagen.“

Vier Tage später ging ich mit einem Freund für meine Geburtstagsparty Bier und Käse einkaufen und während wir über den Supermarktparkplatz liefen, erzählte ich ihm von dem Knoten in meiner Brust und wie ich erst dachte, dass es eine Erkältung sei, mir dann jedoch eingestehen musste, was es tatsächlich war, woraufhin er meinte: „Ja, mir geht’s auch so, vor allem wegen der Kleinen.“ Die Kleine, seine zweijährige Tochter.

Die Geburtstagsparty war lang und wild und keiner sprach über Trump und kurze Zeit später ging mein Flieger nach Vietnam zu einem Freund, der dort seit drei Monaten lebte. Ich dachte, dass ich bloß ein paar Tage Ruhe und Abstand bräuchte, dann würde das schon wieder werden.

Wir tranken Reiswein mit frischem Schlangenblut, tanzten auf den Tresen der Altstadt, verbummelten unsere Zeit in der sorgenlosen Expatblase, irrten mit dem Rucksack durch abgelegene Täler, schliefen auf fremden Holzböden.

Jetzt sitze ich am Strand einer abgelegenen Insel, Facebook kann ich immer noch nicht länger als ein paar Augenblicke öffnen, News nur wohldosiert lesen und ich begreife: Der Knoten wird sich durch ein bisschen Ruhe und Abstand nicht lösen.

Dass ich so lange brauchte, um das zu erkennen, liegt wohl auch daran, dass ich Gefühle nur ungern zulasse. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber ich fahre ganz gut damit und falls dann doch mal eine emotionale Spitze durch den Panzer dringt, weiß ich, was mir hilft: Schreiben.

Als im Juli 2016 in München ein junger Mann um sich schoss, saß ich mit einer Freundin in einer Berliner Straßenpizzeria. Wir hatten den Sonnentag am Wannsee genossen: über einen Zaun geklettert und auf einem Privatsteg rumgelümmelt, über die gekreuzigten Gartenzwerge in den Bäumen gelacht, gehofft, dass unser kleiner Einbruch unbemerkt bleibt.

Als dann abends die Push-Nachrichten auf unseren Handys aufleuchteten, versuchten wir sie zu ignorieren, doch als die ganze Brutalität klar wurde, war ich froh, dass eine Redaktion anrief und mich nach München schickte. Damit war der Abend gelaufen, aber so fiel es mir leichter, mit dem Entsetzen umzugehen.

Doch wovor habe ich überhaupt Angst? Persönlich weiß ich es nicht genau, die Bedrohung ist diffus, aber gleichzeitig so präsent, dass sie alles überschattet.

Und politisch? Vielleicht, dass es naiv war zu träumen, dass wir alle Brüder und Schwestern sein können. Wie umfassend Trump & Co. meine Naivität bedrohen, lässt sich nur erahnen, jedoch scheint das Gegenteil von Liebe und Ausgleich im Verzug zu sein.

Aber vielleicht bietet die Angst auch eine Chance und ich kann sie in diesen Blog überwinden, kanalisieren und als Antrieb nutzen, um zu verstehen, was Angst ist, was sie für unsere Gesellschaft bedeutet und vor allem, ob sie uns nicht sogar stärker machen kann.

Ich möchte Menschen treffen, die schon lange mit diesem Gefühl leben: Flüchtlingshelfer, die wegen ihres Engagements ausgegrenzt werden; Migranten, die mit Anfeindungen leben; Politiker, die seit Jahren bedroht werden.

Aber ich will auch eine Brücke schlagen und mit den Ausgrenzenden, den Pöblern und Drohenden sprechen,  fragen, ob auch sie Angst haben, probieren, ob wir uns verständigen können.

Vielleicht, im besten Falle, mache ich auf dieser Reise ein paar Schritte vorwärts, entdecke einen Weg, wie ich mit der Angst umgehen kann und kapiere vielleicht, welche unserer Angstreaktionen Auge in Auge mit dieser dunklen, sich vor uns auftürmenden Bedrohung die richtige ist – fliehen oder kämpfen.

        – Con Dao, Dezember 2016