Sächsische Mehrheiten


Aus Angst vor Nazischlägern war ich aus Aue geflohen und als ich zurückkehre, ist die Angst wieder da: „Wir können Sie nicht auf der Straße interviewen“, sagt der MDR-Reporter zu mir. „Die Stadtverwaltung hat uns gewarnt, dass sie nicht für unsere Sicherheit garantieren kann.“

Ich wurde nach Aue ins Rathaus eingeladen, um bei einer öffentlichen Diskussion über die Neue Normalität und rechtes Gedankengut zu sprechen. Weißhaarige Männer werden mich beschimpfen, Nazis vor der Türe lauern. Aber als ich später wegfahre, spüre ich dennoch Hoffnung. Weiterlesen

Tag 4: Masse und Macht

Als die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurden, entdeckte Simone Frieder die Buchstaben, eingeritzt in die Tische ihrer Schüler: NSU. „Einige Schüler scheinen sich damit zu identifizieren“, erzählt uns die Lehrerin an einer Mittelschule eines Nachbarorts von Aue. „Es scheint, als sei das Tabu gebrochen, ausländerfeindliche Sachen zu sagen.“ 24 Stunden später applaudiere ich den rassistischen Parolen der Redner des Sternmarschs, aus Angst verprügelt zu werden, würden die anderen merken, dass ich nicht dazugehöre. (2862 Wörter)

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Aue / Tattoos und Törtchen

Tag 3: Roy Black und Nazi-Heftchen

Der Verkäufer auf dem Altmarkt lässt die Tüte mit den Landser-Heften unter seinem Verkaufsstand verschwinden. Ein grauhaariger Mann hatte sie vorbeigebracht. Wir hatten gerade beim Bäcker gefrühstückt und Thomas wollte noch sein Soundequipment aus der Ferienwohnung holen, als er den Stand mit den Kassetten entdeckt. Costa Cordalis, Roy Black, Die Kelly Family. „So viel Zeit haben wir doch noch, oder?“, fragt Thomas. „Ein Kumpel hat Morgen Geburtstag und das ist doch das perfekte Geschenk.“(204 Wörter)

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Tag 2: Veränderte Wahrnehmung

Ich laufe von meiner Ferienwohnung zum Bäcker. Auf dem Bürgersteig, hundert Meter vor mir, steht eine lose Gruppe von Sechzehn-, Siebzehnjährigen. Sie gucken in meine Richtung, besprechen irgendetwas, lugen wieder zu mir. Reflexhaft beginne ich die Logos und Wörter auf ihren T-Shirts zu lesen. Ich bin nicht gerade blond, im Nahen Osten und in Italien konnte ich mich als Syrer verkleidet in Flüchtlingslager schmuggeln. Checken die Jungs auf dem Bürgersteig mich deshalb aus? (176 Wörter) Weiterlesen

Tag 1: Auf der Suche nach Koordinaten

Aue ist schön anzuschauen. Zwei Flüsse treffen sich im Ortskern, kleine Brücken geben ihnen Geleit, die angrenzenden Häuser wurden saniert, ohne ihnen die Seele zu rauben. Die Geschäfte sind inhabergeführt, heißen Rotstift Schreibwaren, Schuhmode Schädlich, No 1 Modeexpress. Nur manchmal, da drücken Skinheads ihre Zigaretten auf dem Hals eines Punks aus. (1694 Wörter)

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