Über die Reise

Eingefleischte Rechte strömten genauso auf den Theaterplatz in Dresden wie Neureiche mit Perlenohrringen. Deutschlandschals um den Hals, Deutschlandfahnen in der Hand. Es war der Jahrestag von Pegida und ich war gerade in der Ecke.

„Muslimen geht es nur um Fickerei und Gewalt und Allah weist ihnen dabei den Weg.“ Sätze wie diese wurden mit Lachen und Applaus beantwortet. Je derber die Worte, desto böser die Reaktionen. Und dann immer wieder dieser Begriff: Volk.

„Wir sind das Volk! Wir sind das Volk“

„Volksverräter! Volksverräter!“

Der Theaterplatz war ihre Wagenburg. Wir hier drinnen, stark, neuermächtigt; ihr da draußen, links-grün versifft.

Als ich nach der Kundgebung abseits des Platzes auf einem Bürgersteig stand, stürmten mehrere Skinheads die Straße runter. Sie schlugen einem Studenten neben mir mit der Faust ins Gesicht, die Wucht schleuderte ihn auf den Asphalt. Ich rannte weg.

Verstört von dem Hass und der Gewalt, die er hervorbringt, starrte ich auf der Rückfahrt aus dem Fenster. Es dauerte ein bisschen, aber dann erwischte mich die Erkenntnis, als hätte der Schlag des Skinheads auch mich erwischt: Bei Pegida geht es längst nicht mehr nur um Muslime. Es geht auch um mich und die meisten Menschen, die ich kenne.

© Bernhard Riedmann
© Bernhard Riedmann

Ich zog nach Leipzig und begann zu lesen: DDR-Geschichte, SED-Überwachung, friedliche Revolution, Wende-Trauma, Hoyerswerda. Stück für Stück wurde mir das Ausmaß meiner Ignoranz bewusst. Als 30-Jähriger, der in Bonn geboren wurde, hatte ich weder im Geschichtsunterricht viel über ostdeutsche Geschichte gelernt, noch war das Thema sonderlich präsent, als ich anfing Zeitung zu lesen. Filme wie Das Leben der Anderen bildeten die Ausnahme und der ist von einem Westdeutschen. Trotz Oscar-Erfolg und Ostalgie-Shows blieben das Randnotizen, Ostdeutschland, da klingelte nichts. Stattdessen bereitete ich mich im Studium darauf vor, aus dem Nahen Osten zu berichten, dort fand Geschichte statt.

In Syrien, Ägypten und dem Libanon, erfuhr ich, wie es ist, in einem Polizeistaat zu leben. Ich erinnere mich, wie ein kurdischer Freund in Damaskus mir im zittrigen Flüsterton von der Polizeigewalt in seinem Heimatort erzählte; wie ich drohende Anrufe eines libanesischen Generals bekam, nachdem ich über Soldaten berichtet hatte, die Flüchtlinge verprügelten.

Die Menschen in Ostdeutschland hatten ähnliches erlebt, doch die gängigen Klischees kanzelten das ganze Thema mit „fehlender Dankbarkeit“ und „Jammer-Ossi“ ab. Woher kam das? Zeitungsredaktionen sind überwiegend westdeutsch besetzt, genau wie politische Parteien und die Spitzen der Wirtschaft. Hat es damit zu tun?

Je mehr ich las und nachdachte, desto mehr fragte ich mich: Herrscht nur bei mir diese Ignoranz, oder geht das vielen so? Und was bedeutet das für unser Verständnis von Pegida und der Neuen Rechten, die so brachial und gleichzeitig leichtfüßig Sachsen übernimmt? Warum sind so viele Menschen empfänglich für rechtes Gedankengut?

Wenn ich mich mit Kollegen darüber unterhielt, sagten sie: „Lass die nicht so billig davonkommen, sei nicht so ein Sozialpädagoge. Das ist alles 25 Jahre her. Die Ostdeutschen sollen endlich mal Verantwortung für ihr Leben übernehmen.“ Ihre Antwort lautet: ausgrenzen. Andere meinten: mit den Menschen muss man reden.

© Philipp Reiss
© Philipp Reiss

Ich erzählte dem Fotograf Thomas Victor von meinen Gedanken und wir entschieden, einen Monat gemeinsam durch Sachsen zu reisen.

Antworten haben wir nicht, aber wir fahren los und stellen Fragen. Denn was in Sachsen passiert, betrifft schon längst nicht mehr nur Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, nicht nur die Menschen in Ostdeutschland, sondern es betrifft auch uns und alle, die wir kennen.

Wir würden uns freuen, wenn Ihr uns ein Stück auf dieser Reise begleitet.