Tag 9: Jeder ist seines Unglückes Schmied

Noch bevor Friedemann mir einen Tee anbietet, ist er beim Thema. „Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, gegen Pegida zu demonstrieren. Man kann Hass nicht mit Hass bekämpfen, sondern nur mit Liebe.“

Ich bin nach Dresden gekommen, um mir noch mal Pegida anzuschauen, noch mal das Gespräch mit den Menschen dort zu suchen. Außerdem ist Dienstag Prozessauftakt gegen Lutz Bachmann. Der Vorwurf: Volksverhetzung. Seine Anhänger sprechen von einem politischen Prozess, einem Hexenprozess.

Friedemann ist der Bruder von Fotograf Thomas. In Dresden wohne ich für ein paar Tage bei ihm in der stuckverzierten Altbauwohnung in der Dresdener Neustadt. Von der Toilettendecke baumeln selbstgefaltete Papierkraniche, im Flur hängt ein altdeutsches Landschaftsgemälde, in dessen Himmel jemand einen Todesstern gemalt hat.

Mit Thomas habe ich in den vergangenen Wochen immer wieder diskutiert, ob es sinnvoll ist, 25 Jahre nach der Wende noch von Ostdeutschland und Westdeutschland zu sprechen. Ich hatte Thomas so verstanden, dass sich das für ihn überlebt hat, dass die Kategorien nicht mehr relevant sind. Und Friedemann?

„Doch, auf jeden Fall, das spielt noch eine Rolle“, sagt er, während er sich eine Zigarette dreht. Er ist vier Jahre älter als Thomas und ging deswegen noch länger in der DDR zur Schule. „Und da habe ich eine Sache gelernt, die ich für richtig halte: Solidarität, die Tatsache, dass die Menschen von hier bis Russland alle für die gleiche Sache arbeiteten.“ Klar, habe es auch Bonzen gegeben, aber das Gemeinschaftsgefühl sei stärker gewesen als in der heutigen Ellenbogengesellschaft.

Während er mir dann doch noch einen Tee kocht und dem Freund seiner Mitbewohnerin hilft, den Wlan-Drucker einzurichten, gucke ich mich in der Küche um und entdecke an der Wand ein Bertolt-Brecht-Zitat:

„Auch der Hass gegen die Niedrigkeit

Verzerrt die Züge.

Auch der Zorn über das Unrecht

Macht die Stimme heiser. Ach, wir

Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit

Konnten selbst nicht freundlich sein.“

Eine meiner Fragen, die ich mir seit meinem ersten Besuch bei Pegida vor sechs Monaten stelle, ist: Wie gehen wir mit den Menschen dort um? Zuhören oder ausgrenzen? Bertold Brecht hatte eine klare Antwort. Friedemann besuchte drei Pegida-Demos und auch seine Antwort ist klar: zuhören.

„Seit ich elf Jahre alt war, arbeite ich mich durch die Weltreligionen“, sagt er. Sein Vater ist evangelischer Pfarrer. Nach dem Christentum nahm sich Friedemann Schamanismus und Hinduismus vor, fand schließlich beim Buddhismus die richtigen Worte. Letztlich gehe es jedoch immer um das Selbe: Ob „Solidarität der Brudervölker“, „Liebe deinen Nächsten“ oder Buddhas Weisheiten – das Ziel sei immer, im großen Ganzen der verbrüderten Menschheit aufzugehen.

Dresden Pegida
Pegida in Dresden. © Raphael Thelen

Hörte man Friedemann nur reden, würde man sich einen Langhaarigen mit Traumfänger-Ohrringen vorstellen. Aber in seinem grauen Pullover und der blauen Dickies-Hose sieht er aus wie ein Hip-Hopper aus den 2000ern. Ihm fällt es dann auch nicht schwer, Buddhas Lehre auf den Boden der Tatsachen zu holen: „Die Menschen bei Pegida haben halt Angst und geben die falschen Antworten.“ Und Liebe ist darauf die passende Antwort? „Ja, ich glaube schon. Aber ganz sicher bin ich mir noch nicht.“

Nach unserem Gespräch muss ich an mein Treffen mit Robert Feustel vergangene Woche denken. Nach dem Besuch in Aue unterhielt ich mich in Leipzig mit einigen Leuten, die die Vorgänge in Sachsen theoretisch betrachten. Feustel lehrt Politikwissenschaft an der Uni Leipzig.

Wo Friedemann über den Buddhismus hinkommt, nimmt Feustel den Weg durch die Demokratietheorie.

Robert Feustel © Thomas Victor
Robert Feustel © Thomas Victor

Und während Friedemann Spiritualität bei Gesprächen über Christus’ Leidensweg im elterlichen Pfarrhaus entdeckte, wurde Feustel mit elf Jahren am Fenster seines Kinderzimmers politisiert. Vor seinem Haus zogen 1989 die Montagsdemos entlang.

„Im Osten gab es ein starkes Gemeinschaftsgefühl, auch weil man in der Mangelwirtschaft aufeinander angewiesen war, nach dem Prinzip: Ich hab Fliesen für dich, dafür gibst du mir eine Kiste Bier“, sagt Feustel im Raucherzimmer einer italienischen Cafébar unweit des Leipziger Rings, über den die Montagsdemos zogen und über den seit Monaten die Legida-Demos ziehen. Ihr Schlachtruf damals, wie heute: „Wir sind das Volk!“

„Nach der Wende kommt die neoliberale Politik, die sich mit Gerhard Schröders Agenda 2010 noch mal verstärkt“, sagt Feustel. „Statt Solidarität heißt es: Jeder ist seines Glückes Schmied. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Jeder ist seines Unglückes Schmied.“

Die Konkurrenz im großen Alle-gegen-Alle, habe die Menschen so verunsichert, dass sie sich jetzt wieder auf den Straßen zusammenfinden. „Für viele war es eine diffuse Angst, die sie zu Pegida trieb“, sagt Feustel.

Über diese allgemeine Verunsicherung wurde bei Pegida dann erst ein rassistischer Diskurs gestülpt: „Auf sozial- und wirtschaftspolitische Fragen gaben Lutz Bachmann und Co die immer gleiche, falsche Antwort: Der Islam und die Flüchtlinge seien schuld.“

Und diese Abgrenzung nach außen schaffe nach innen eine neue Gemeinschaft, eine neue brüderliche Solidarität, ein Liebe-deinen-Nächsten. Nicht spirituell, sondern national.

Nachdem Fotograf Thomas diesen Text gelesen hat, schrieb er mir noch mal wegen unserer Diskussion über die Begriffe Ostdeutschland/Westdeutschland. Ich glaube, er hat noch ein paar gute Worte zu dem Thema gefunden:

„Wenn man über die deutsche Gesellschaft spricht, muss man natürlich ost- und westdeutsche Vergangenheit einbeziehen. Aber die alten Ossi-Wessi Schubladen, die irgendwann in den Neunzigern geprägt wurden, hängen mir zum Hals raus. Ich finde, da sollten die Menschen selbst, aber auch wir als Journalisten, neue gemeinschaftlichere Definitionen von Ost- und Westdeutschen finden.“

 

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