Tag 15: Schmerzhafte Einschnitte

Er besitzt zwei Häuser, zwei Autos, seine Tage verbringt er mit Rasenmähen zwischen den Kirschbäumen seines Gartens – aber die Flüchtlinge bekommen so viel, dass den Deutschen nichts bleibt. Als der Vermieter unserer Ferienwohnung rauskriegt, dass wir Journalisten sind, will er ein Bier mit uns trinken. Und während wir auf der Terrasse sitzen und die Sonne hinter dem nahen Waldstück untergeht, zerbröselt unsere These, dass Rassismus immer etwas mit Armut und Perspektivlosigkeit zu tun hat. (646 Wörter)

Schon als der Vermieter uns am ersten Tag die Ferienwohnung im ersten Stock seines Hauses zeigt, sagt er: „Wir müssen hier ein bisschen mit Diebstahl aufpassen. Wir haben ja jetzt die Willkommenskultur.“ Thomas und ich lächeln das weg. Auch, weil er ein guter Gastgeber ist, uns Ausflugstipps gibt, jeden Tag Äpfel aus seinem Garten schenkt und mir noch seine Hasenzucht zeigt.

Dann beim Bier auf seiner Terrasse will er mal Klartext reden. Über die Flüchtlinge, Pegida, Ausländer. Weil die Presse ja nicht richtig berichtet. Nicht alles was er sagt ist schlüssig, bietet aber einen Einblick in seine Gedanken. Mit seinem Namen will er nicht auftauchen.

Ich hätte mir nie so ein Haus leisten können in der DDR. Mir geht es jetzt viel besser. Ich hab nach der Wende viel mehr verdient. Aber meine Tochter ist Rechtsanwalt. Weißt du was die verdient, netto? 1.450 Euro. Der eine Sohn hat 1.200 Euro netto bei der Post in Kamenz. Der andere hat 1.300 Euro als Mechatroniker für Autos. Ist einfach kein Geld da. Und ich bin eher links und das bedeutet für mich, eine gerechte Gesellschaft zu wollen, also dass auch für die Ärmsten noch was da ist. So sind wir hier im ganzen Dorf eingestellt.

Aber jetzt kommen die Flüchtlinge her und von dem Geld, das die monatlich bekommen, schicken sie 400 Euro nach Hause, 300 Euro behalten sie zum Leben und wenn das weg ist, gehen sie klauen. Und die haben diese neuen Handys. Aber die Familien, die hier wohnen, haben nicht mal das Geld, um einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren. Unsere Gemeinde ist hochverschuldet und die Häuser im Dorf verfallen. Das gleiche Geld, das die Flüchtlinge kriegen, sollte auch unsere Jugend bekommen. Dann könnte sie hier bleiben.

Aber weil das nicht passiert, gehen so viele Sachsen zu Pegida. Ich war sechs Mal da und habe nie einen einzigen Rechten gesehen. Aber die Linken machen Randale, schmeißen Ziegelsteine auf die Menschen, schießen mit Raketen. Und einmal da waren es 15.000 Leute, aber in der Presse stand dann was von 3.000. Und so geht es dann los mit der Lügenpresse.

Drüben im Westen trauen die Menschen sich nicht auf die Straße zu gehen, hat eine Freundin von meiner Tochter gesagt. Da sind die Ausländeranteile schon so hoch, dass die Angst haben. Wenn die Ausländer einen erkennen, der gegen die Ausländer auf die Straße geht, na dann kriegen die auf die Fresse. Die Ausländer haben das richtig organisiert.

Die Ausländer. Die Ausländer. Die Ausländer.

Thomas und ich versuchen zu argumentieren, dass die Bankenrettung 2008 ein Vielfaches gekostet hätte und dass die paar Milliarden für die Flüchtlinge zu stemmen seien. Dass das mit den stehlenden Flüchtlingen meist nur Gerüchte sind. Dass wir sehr wohl Rechte bei Pegida gesehen hätten. Nur die „organisierten Ausländer“ im Westen lassen wir unkommentiert. Was soll man da sagen?

Offen reden wollte der Vermieter mit uns. Seinen Namen und sein Foto wollte er nicht veröffentlicht sehen.
Offen reden wollte der Vermieter mit uns. Seinen Namen und sein Foto wollte er nicht veröffentlicht sehen.

Aber was wir auch anbringen, mit keinem unserer Argumente dringen wir durch. Dabei sind wir drei uns sonst in vielen Punkten einig: Dass Hartz IV oft ungerecht ist. Dass mehr dafür getan werden muss, dass Betriebe auch wirklich den Mindestlohn zahlen. Dass die Gehälter im Osten endlich denen im Westen angeglichen werden müssen. Dass die Kommunen mehr Geld brauchen.

Aber dann kommt bei unserem Vermieter dieser Rassismus ins Spiel, der eine Diskussion so schwer macht: Nicht das unfaire Wirtschaftssystem ist schuld, sondern die Flüchtlinge.

Wir sind nach Hoyerswerda gekommen, weil wir sehen wollten, was die schmerzhaften Einschnitte der Wendezeit damit zu tun haben, dass in Sachsen so viele Menschen zu rechten Protesten gehen. Ich hing der These an, dass das eine das andere bedingt. Eine These, die selbstverständlich vereinfacht, aber dennoch weitverbreitet ist.

Aber die Menschen, die wir in den vergangenen Tagen trafen lebten alle relativ gut. Und trotzdem war es ihnen  egal, wenn sich im Nachbargarten Neonazis treffen. Oder sie zeigten Verständnis für Rassisten. Oder sie sind einfach selbst welche und nutzen die schwierige wirtschaftliche Lage in Hoyerswerda als Deckmantel.

 

Ein Kommentar

  1. Wirklich eine super spannende Seite mit vielen zum nachdenken anregenden Artikeln… Auch die Art, wie ihr herangeht, finde ich toll, sehr verständnisvoll (oder -suchend) und wenig polarisierend. Ich wohne seit knapp 3 Jahren in Sachsen und werde, wenn ich außerhalb Sachens Freunde oder Familie besuchen bin, oft gefragt, ob es denn „wirklich so schlimm ist mit den Nazis in Sachsen“. Mir fehlen oft die Worte, das so richtig zu beschreiben, so, dass die Fragenden nicht hinterher denken „alles Nazis da“ oder „alles Lug und Trug, Nazis gibt’s da gar nicht“. Denn so einfach schwarz-weiß ist es einfach nicht, die Situation ist irgendwie viel komplexer. Viele Gespräche oder Beobachtungen, die ich auf dieser Seite so lese, kommen mir bekannt vor, zu Ansichten, die ihr beschreibt, kommen mir Bilder von Menschen in den Kopf, von denen ich ähnliches gehört habe. Die Art, wie ihr das ganze in Worte fasst ist wirklich toll und meiner Meinung nach sehr nahe an der Realität. Ich zitiere diese Seite in letzter Zeit sehr oft – danke für eure tolle Recherche!

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