Tag 24: Hauen in Plauen

Als ich die Halle des Leipziger Bahnhofs betrete, schallt von irgendwoher ein Schrei, verstärkt durch ein Megafon: „Lügenpresse!“. Ich gucke mich um, niemand. Eine Freundin hatte mich gewarnt, allein im Zug zur Neonazi-Demo in Plauen zu fahren. Es sei zu gefährlich. Ich hielt das für Paranoia. Doch tatsächlich: Als ich auf das Gleis trete, stehen vor mir vierzig Rechte, schwarz gekleidet, Bierflasche, einer hält das Megafon in der Hand.

Ich zögere, dann gehe ich weiter das Gleis entlang. Etwas abseits stehen zwei Polizisten in Schutzwesten. Ich gehe zu ihnen und frage, ob die Rechten alle nach Plauen fahren und ob sie, die Polizisten, mitkommen würden. Der ältere der Beiden antwortet im „Was ist dein Problem?“-Tonfall: „Ja, die fahren da hin und nein, wir fahren nicht mit.“
Ich stelle mich so weit weg von den Rechten, dass ich außer Reichweite bin. Sie können nicht wissen, dass ich Journalist bin, aber ich gehöre offensichtlich nicht dazu. Zwei Minuten bevor die S-Bahn einfährt, stellen sich ein paar von ihnen nah um mich herum. An ihrem breitspurigen Auftreten kann ich sehen, wie sie meine Verunsicherung genießen. In der S-Bahn setze ich mich möglichst weit von ihnen weg.

Nach einer Stunde steigen wir in Werdau aus. Ein Böller explodiert mit lautem Krachen auf dem leeren Bahnsteig. Der Zug nach Plauen ist einer dieser kleinen Lokalzüge, mehr Straßenbahn als Regionalexpress mit Endstation in der Provinz. Wenn ich einsteige, ist klar, dass ich zur Demo will und dass ich wohl auf der anderen Seite stehen werde. Ich dachte, ich hätte morgens neutrale Kleidung gewählt – weißes Hemd, graue Stoffhose, Sportschuhe – aber ich bin fehl am Platz. Und zum ersten Mal stelle ich mir in Deutschland die Frage, ob es sicher ist, in einen Zug zu steigen. Wenn ich mich in die kleine Bahn reinsetze, bin ich ausgeliefert, außer mir sind da nur noch ein Rentnerpaar und ein Mountainbiker.

Und dann kommt mir ein Gedanke: So funktioniert politische Gewalt. Wenn ich nicht einsteige, verpasse ich einen Teil der Demo und wenn im nächsten Zug auch Rechte sitzen, hätten sie ihren politischen Gegner, die „Lügenpresse“, matt gesetzt. Nicht im Diskurs, sondern durch physische Einschüchterung. So wie die Jugendlichen im Erzgebirge, die sich nicht mehr frei in ihrem Dorf bewegen, oder das Pärchen, das aus Hoyerswerda fliehen musste.

Als der Zug abfährt, schlängelt sich ein schmaler Typ durch seine stehenden Kameraden. Über der Tür zum Führerhaus hängt eine Kamera. Er stellt sich in den toten Winkel, holt einen Aufkleber aus der Tasche, reckt sich hoch und klebt ihn über die Linse. Von Zeit zu Zeit merke ich, wie die Rechten mich mustern, doch nichts passiert. Eine Dreiviertelstunde später sind wir in Plauen.

Lange, vierspurige Straßen gehen vom Bahnhof ab, doch sie sind leer. Keine Passanten, keine Autos. Als hätten alle Plauener die Stadt für den 1. Mai verlassen. Nur hier und da öffnet sich mal ein Fenster, lehnt sich jemand mit einer Zigarette zwischen den Fingern raus, guckt.

IMG_7472-2Am Bahnhof stellen sich die Rechten auf. Eine Trommler-Gruppe wird unterwiesen, einen Marsch zu spielen, rote T-Shirts mit dem Aufdruck „Deutscher Sozialismus“ und grüne Fahnen, auf denen „III. Weg“ steht, werden verteilt. Einer der Demonstranten trägt einen Wehrmachtssoldaten als Tattoo auf der Glatze, ein zweiter den Spruch „Aryan Hope“, ein dritter ein stilisiertes Hakenkreuz auf dem Hals.

Die Mitglieder des „III. Wegs“ verstehen sich als neonazistische Eliteorganisation, ihr Programm: Auflösung der EU, Wiederherstellung Großdeutschlands, ein nationaler Sozialismus.

Vergangenes Jahr veröffentlichten sie einen 23-seitigen Leitfaden: „KEIN ASYLANTENHEIM IN MEINER NACHBARSCHAFT! Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft.“

Es ist eine schrittweise Anleitung, um Proteste zu organisieren:

  • Wie gründe ich eine Bürgerinitiative?
  • Wie halte ich eine Gründungsveranstaltung ab? („TIPP: Lieber einen kleineren Raum nehmen, der voll ist, als
 einen großen, der leer ist. Die meisten Räume kriegt man
 umsonst. Der Wirt verdient am Getränkeverzehr. Legen Sie die 
Gründungsversammlung nicht auf einen spannenden Fernsehtermin (z.B. Länderspiel)! Günstige Tage sind: Dienstag und Donnerstag. Auch immer an lokale Veranstaltungen denken.“)
  • Wie richte ich eine Facebook-Seite ein?
  • Wie melde ich eine Demonstration an?
  • Wie verhalte ich mich auf einer Bürgerversammlung zum Thema Asylunterkunft? („Tipps zum Diskussionsverhalten: Achten Sie darauf, nicht aggressiv, unfreundlich oder polemisch aufzutreten. Die Diskussion sollte sachlich geführt werden und Sie sollten sich dabei auch durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen.“ Außerdem: „Es empfiehlt sich daher Ton- oder Videoaufnahmen zum Zwecke des Nachweises von der Veranstaltung zu machen und diese dann im Anschluss im Internet zu veröffentlichen.“)

Nationaler Sozialismus hält besorgten Bürgern die Steigbügel und in Sachsen steigen Menschen vielerorts III. Weg Plauenbereitwillig auf dieses Pferd. Es gibt auf Facebook dutzende Seiten, die gegen Flüchtlingsunterkünfte mobil machen. Auf Youtube reicht es, „Bürgerv…“ einzugeben, um den Vorschlag für „Bürgerversammlung Flüchtlinge“ und in der Folge dutzende Videos zu finden. Videos, wie sie vom „III. Weg“ empfohlen wurden.

Auch in Plauen versucht der „III. Weg“, anschlussfähig zu sein. Nach Abmarsch vom Bahnhof gehen die Rechten in geordneten Reihen, rufen Slogans, die an die DDR und Gewerkschaften erinnern: „Arbeiter heraus zum 1. Mai!“ Auf ihren T-Shirts steht: „Arbeit adelt!“ Anderes erinnert an Pegida in Dresden: „Volksvertreter statt Volksverräter!“

Wahrscheinlich ließen sie mich deswegen auf der Hinfahrt im Zug in Ruhe, es sollte eine geordnete Veranstaltung werden. Ob ich auch im Zug hätte zurückfahren können, bezweifele ich, denn kurze Zeit später bricht die Fassade.

Ich unterhalte mich für einige Minuten mit einem SPD-Politiker auf der bürgerlichen Gegenveranstaltung und schaue bei der Antifa vorbei. Auf dem Weg zurück zu den Rechten lese ich auf Twitter, dass deren Demo gestoppt wurde, nachdem jemand eine Flasche auf einen von ihnen geworfen hat. Als ich ankomme, ist die Situation unübersichtlich. Einige Anwohner und Rechte schreien sich gegenseitig an, abseits stehen Gegendemonstranten und blasen in ihre Trillerpfeifen. Mehrere Fotografen mit Helmen und Gasmasken schwirren umher.

Dann, ohne Vorwarnung, preschen die Rechten auf eine lose Polizeikette los. Sie reißen ihre Fahnenstangen hoch und schlagen damit auf die Polizisten ein. Die versuchen, ihre Reihe zu schließen, sprühen Pfefferspray auf die Angreifer, schubsen und rangeln. Die Rechten ziehen sich drei, vier Meter zurück, doch einzelne stürmen immer wieder vorwärts. Ihre Fahnenstangen sausen nieder.

Ich bringe einen Zaun zwischen mich und die Angreifer. Auf der anderen Seite steht eine Gegendemonstrantin, zeigt den Mittelfinger und bläst in eine Trillerpfeife. Ein Rechter geht zu ihr hin, holt mit einem Kamerastativ aus und schlägt ihr auf den Kopf. Ein zweiter kommt angerannt, schubst sie, ihr Kopf klatscht gegen eine Hauswand, sie bricht bewusstlos zusammen. Am Kopf klafft eine Platzwunde.

Die übrigen Rechten wechseln die Richtung, dutzende stürmen eine Querstraße runter, stoßen vor in Richtung Gegendemonstration, schleudern Flaschen und bengalische Feuer. Ein Stück die Straße runter schneiden Polizisten ihnen den Weg ab, sprühen Pfefferspray. Zwei Wasserwerfer fahren vor, durchnässen die Rechten.

Nach zehn Minuten beruhigt sich die Situation und die Polizei begleitet die Demo zurück zum Bahnhof. Statt mit Trommeln vorneweg und in disziplinierten Viererreihen wie vorher, laufen die Rechten im wütenden Mob. Die Parolen jetzt: „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ und „Merkel ins KZ!“

Zurück am Bahnhof zieht sich die Polizei zurück, bildet nur noch einen weiten Kreis um die Demonstranten. Und obwohl die Rechten mehrere Polizisten verletzten, eine Frau niederschlugen und zur Gegendemonstration durchbrechen wollten, dürfen sie vor dem Bahnhof eine Abschlusskundgebung durchführen. Statt Personalienfeststellung, Einkesselung und Festnahmen durch die Polizei, wie man es nach so einer Demo erwarten würde, gibt es belegte Brötchen und Cola und die Organisatoren halten ungestört ihre rassistischen Reden. Die sächsische Polizei scheint Rechten gegenüber nicht nachtragend zu sein.

Am Schluss kommt vom rechten Lautsprecherwagen die Durchsage: „Der nächste Zug fährt um 15.59 Uhr.“ Polizisten werden nicht im Zug sein. Ich auch nicht.

21 Kommentare

  1. Endstation Provinz? Aber – Vierspurige Straßen gehen vom Bahnhof ab? Die Rechten versuchen in Plauen anschlussfähig zu sein und rufen Slogans die an DDR und Gewerkschaft erinnern? In Plauen? – der Stadt der ersten Großdemo 89 vor der die Staatsmacht einknickte?

    Sorry, aber bei dem Maß an Nullcheckung, kann der Schreiber nur ein Wessi sein. Und diese Null Ahnung von nichts zieht sich durch den ganzen Text. Mal von der absurden Einseitigkeit abgesehen – null Kommentar zu den Aktionen der Gegendemonstranten. Glücklicherweise kräht kein Hahn mehr nach Euch. siehe Grüne Sachsen Anhalt 5% und Linke 9% ?

    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Unter dem Menüpunkt „Über die Reise“ finden Sie vielleicht einige Antworten auf Ihre Fragen. Eine Frage hätte ich meinerseits: Wen meinen Sie mit „Euch?“

      1. Ich war dabei, mir fällt dazu nur ein Wort ein: „Lügenpresse“ Du hast alleine in deinem Video nur eines versucht, den Protest von Rechts zu kriminalisieren…irgendwann kommt der Tag an dem sprechen wir über deine Schmierereien vor einem anderen Gericht!

        1. Tja, der bildungsbenachteiligte sächsische Dorffascho an sich war schon immer ein Gernegroß und hat von Großem geträumt (ob nun von Walhalla oder ‚einem anderen Gericht‘), während er mit leerem Blick beim Sterni aus dem Fenster auf seine entvölkerte Umgebung stiert und Schuldige für sein Lebensversagen sucht.

    2. ..hat ja auch keiner gesagt, dass die endstation der bahn plauen ist. meines wissens nach, endet die vogtlandbahnverbindung von werdau über plauen ins bad elster.. was man getrost als `provinz` bezeichnen kann.

    3. Wessis und Ossis gibt es seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Manchmal hilft ein Blick von Außen – siehe den Zeitartikel (Haue in Aue ) des Autors – und manchmal muss man auch einen Blick nach außen werfen, um zu sehen wie gut es einem eigentlich geht.

  2. Neue Normalität – Eine Reise nach Sachsen

    Als wir aus dem Zug aussteigen, werden wir von der Mitarbeiterin der Bahn verpönt. Sie macht ihren politischen Standpunkt klar, voreingenommen, und sofort ist klar: Dieser Dame muss man keine Antwort mehr geben, sie würde sowieso nicht zuhören.
    Eine Freundin hatte mich gewarnt, mit den anderen zur Neonazi-Demo zu fahren. Es sei zu gefährlich, die Übergriffe der Linken wurden schon von vorn herein in den Internetseiten angekündigt, man wolle definitiv gewaltsam vorgehen, daraus machten die Anti-Faschisten keinen Hehl. Ich hielt es für Paranoia, doch tatsächlich: Als wir die Stadt Plauen betreten, durch die Straßen marschieren und friedlich unsere Parolen rufen, sehen wir schon von Weitem die Linken, schwarz gekleidet, Bierflaschen, einer hält einen Stein in der Hand.

    Ich bin geschützt von meinen Kameraden, jedoch wird einem mulmig bei so einem Anblick. Etwas abseits stehen Polizisten in Schutzwesten und ihre Gesichter werden durch das Visier der schwarzen Helme fast unkenntlich. Sie fordern uns auf, die Schilder noch unten zu lassen, da die Demo erst am Bahnhof beginnt. Ich bin nur ein kleines Teil inmitten der großen Masse, doch ich versuche, alles, was geschieht, in mich aufzusaugen und abzuspeichern. Am Straßenrand stehen zunächst schweigende Menschen. Manche von ihnen zeigen mit dem Daumen nach oben, signalisieren, dass sie das, was wir tun, gut finden. Es folgt eine Parole: „Auf die Straße, reiht euch ein!“, doch mir wird bewusst, dass nur die wenigsten der Menschen, die unser Bewusstsein teilen, den Mut haben, sich einzureihen. Ich begutachte die großen, leeren Häuser. Die Straße, die die Straße des Friedens heißt, ist nur noch spärlich belebt. Viele der Fenster stehen seit Jahren offen, die Witterung hat ihren Tribut gefordert – niemand saniert die Häuser, die seit hunderten Jahren hier stehen, Familien ein- und aus gehen sahen, beide Weltkriege miterlebt haben. Ein trauriger Anblick. Wir gehen weiter, die Strecke führt uns in die Innenstadt, einen Berg hoch. Meine Kameraden schreiten schnellen Schritts voran, ich habe Mühe, hinterher zu kommen bei dem Tempo, doch die Wut auf den Staat und die Absicht, unser Land zu einem besseren zu machen, treiben uns alle an. Es wird lauter, wir begegnen Menschen mit Trillerpfeifen und schreiende Linke zeigen uns den Mittelfinger. Die Polizei hat zu tun, sie zurückzuhalten. Trotz Vermummungsverbot tragen sie fast alle ein Tuch über dem Mund und eine Sonnenbrille. Wir erreichen den Bahnhof und eine riesige Menschenmenge wartet bereits auf uns. Und das beste ist: Sie sind auf unserer Seite. Viele tragen rote T-Shirts, die mir vertraut sind. Ich lächle einen meiner Kameraden an, er erwidert, so als wolle er sagen: Wir sind nicht allein, Deutschland ist noch nicht verloren.
    Die Aufstellung beginnt, ich stehe direkt hinter den Trommlern, halte mein Schild, auf dem steht: Arbeit adelt!
    Es geht los. Begleitet von Parolen ziehen wir durch Plauens Straßen. Schnell kommen wir an Gegendemonstranten vorbei, die sich die Seele aus dem Leib schreien, um uns zu übertönen. Sie schaffen es nicht, wir sind zu viele. In einer übersichtlichen Kurve werfe ich einen Blick zurück. Die Schlange der Menschen, die hinter uns gehen, will nicht abreißen. Es ist unglaublich, wie viele es sind. Ein letzter positiver Gedanke durchströmt mich, es ist gut, was wir tun, es ist richtig. Doch dann stoppen unsere Vordermänner. Was ist los? Jemand sagt, dass die Anti-Fa´s einen Sitzstreik vollziehen. Wir können nicht weitergehen. Ein Kamerad erzählt uns, dass einer unserer Leute bewusstlos geschlagen wurde. Er wurde durch einen Stein oder eine Flasche am Kopf getroffen, er ging wohl ganz hinten. Unruhe durchfährt unseren Zug. Plötzlich, nach ca. 15 Minuten, werden wir informiert, dass unsere Demo aufgelöst wurde. Alle rennen wirr hin und her. Ein Vertrauter sagt uns, dass wir Frauen in die Mitte gehen sollten, gleich würde etwas passieren. Eine leichte Panik überkommt mich, als ich inmitten der Menschen stehe. Sie achten auf uns, wollen uns schützen – wovor? Von dem, was um uns herum passiert, bekomme ich nichts mit. Neben mir ist ein schwangeres Mädchen, jünger als ich, Angst in den Augen. Als es los geht, weint sie. Wir werden geschoben und gedrückt. Ich versuche, irgendwie herauszufinden, wohin wir gehen sollen, doch es ist unmöglich. Schließlich komme ich irgendwie an das Lautsprecherfahrzeug und sage dem schwangeren Mädchen, sie soll einsteigen. Und zum ersten Mal stelle ich mir in Deutschland die Frage, ob es sicher ist, seine Meinung laut kundzugeben. Wir sind der Horde von Polizisten schutzlos ausgeliefert, das wird mir langsam klar.
    In dem Moment schnürt sich mir die Luft ab, Tränen steigen mir in die Augen: Pfefferspray! Panisch klopfen wir an das Fahrzeug, der Fahrer öffnet die Türen und das schwangere Mädchen steigt ein. Sie ist in Sicherheit. Ich bekomme noch immer keine Luft, schließlich trifft mich von hinten ein harter Strahl am Rücken. „Wasserwerfer!“, ruft ein großer, breiter Kamerad und stellt sich vor mich. Er zeigt mir, wo ich hingehen kann, gibt mir Wasser und ein Tuch, um Augen, Nase und Mund zu schützen. „Nicht durch den Mund atmen!“, rät er mir und legt seine Hand auf meine Schultern. Endlich sehe ich wieder vertraute Gesichter, alle sorgen sich um mich und versuchen, mich zu trösten. Ich will hier weg, sage ich, doch es gibt keinen Ausweg. Wir sind eingekesselt von einem riesigen Haufen Polizisten, die offensichtlich gegen uns sind. Warum, ist mir ein Rätsel.
    Von einer Seite kommen Linke und prügeln sich mit uns, doch schnell ist auch dieser Angriff abgewehrt. Langsam kehrt wieder Ruhe ein und schließlich können wir auf der Route zurückgehen, auf der wir gekommen sind. Die Gegendemonstranten sind jetzt merklich ruhiger. Ich will einfach nur zurück zum Zug. Endlich kommen wir am Bahnhof an und steigen nach einer abschließenden Kundgebung in den Zug. Alte Männer sind bei uns dabei, einer davon geht mit Krücken. Im Zug haben drei Studenten sich auf mehreren Sitzplätzen ausgebreitet, keiner von ihnen steht auf oder nimmt seine Sachen von den freien Plätzen, damit sich der alte Mann setzen kann. Ich bin zu kraftlos, um noch etwas dazu zu sagen, doch ich ärgere mich innerlich über diese Ignoranz. Als wir endlich wieder im Bus Richtung Heimat sitzen, geht es mir wahrscheinlich so wie den meisten meiner Kameraden. Ich frage mich: Wohin soll das führen? Doch solang mein Herz noch schlägt, werde ich auf meinem Weg weitergehen und das tun, was ich glaub dass ich tun muss.

    1. Hallo Moni,

      vielen Dank, dass du deine Perspektive schilderst. Doch du hast in einem entscheidenden Punkt Unrecht. Nicht die Polizei hat euch angegriffen, sondern deine „Kameraden“, sind mit ihren Fahnenstangen auf die Beamten losgestürmt. Das kannst du in dem Video sehen, dass ich gepostet habe.
      Und du hast zwar schon angerissen, worum es dir am 1. Mai ging, aber dennoch würde es mich interessieren, warum du protestieren gehst. Falls du Lust hast, mir mal deine Gründe darzulegen, dann schreib doch einfach: rt (at) zeitenspiegel.de

      Schönen Gruß,

      Raphael

    2. „Viele der Fenster stehen seit Jahren offen, die Witterung hat ihren Tribut gefordert – niemand saniert die Häuser, die seit hunderten Jahren hier stehen, Familien ein- und aus gehen sahen, beide Weltkriege miterlebt haben. Ein trauriger Anblick.“

      Liebe Moni,

      wäre es nicht ein Gewinn für die Stadt Plauen, würde man die Häuser renovieren und es könnten dort junge Menschen und Familien einziehen? Menschen, die froh über eine neue Chance sind, die mehr Leben in die Stadt bringen und Zuversicht. Ist es nicht egal, welche Hautfarbe diese Menschen haben, welche Nationalität oder welchen Glauben? Die Welt – und auch Plauen – ist immer im Wandel begriffen und nicht statisch. Das Berufen auf völkische Identität und nationale oder heimatliche Ab- und Ausgrenzung ist realitätsferner Stillstand und wird keine Probleme lösen.

  3. Lieber Raphael Thelen, offenbar hat sich nichts geändert. Vor dem Zugfahren in Ostdeutschland werden anders Aussehende schon seit 1990 gewarnt. Die neue Normalität existiert also zumindest für einen Teil der Bevölkerung schon seit einem Vierteljahrhundert . Am Deprimierendsten daran ist, dass die Politik diese Zustände lange verharmlost hat und auf diese Weise mit dazu beigetragen hat, dass rechte Unkultur sich derart ausbreiten konnte.

    1. Hallo Urpferdchen,

      es ist interessant, dass sich die Reaktionen auf unsere Recherche sehr unterscheiden, je nachdem, ob die Leserin aus dem Osten oder Westen kommt. Jene aus dem Westen teilen mein Erschrecken, jene aus dem Osten sagen genau, was du sagst: dass das hier nun mal schon lange keine neue Normalität mehr sei. Aber vielleicht bietet das derzeitige Erwachen die Chance etwas dagegen zu tun?

      Schönen Gruß,

      Raphael Thelen

  4. Hier zeigt sich auf traurige Art, wie in 25 Jahren Nachwendezeit gerade und vor allem in Sachsen die Politik auf ganzer Linie versagt und eine Schieflage der Gesellschaft gefördert hat. Keine Angleichung der Löhne, die Mär von mangelnder Produktivität, Unterstützung von Lohndumping, kein gesellschaftlicher Ausgleich, Abbau von Infrastrukturen, rasende Alterung und Verstädterung. Die Folge ist nun, dass beginnend auf dem Land die gesamte junge, halbwegs gebildete Mittelschicht abgewandert ist – zumeist in den Westen, aber mindestens in eine der Großstädte Sachsens. Zurück bleiben gefühlte Verlierer, Bildungsunwillige und verängstigte Rentner als leichte Beute für die rechten Rattenfänger. Aus dem selbst auferlegten Opfermythos entwickelt sich blanker Hass und der sture Unwille auf andersdenkende und andersartige Menschen zuzugehen. Hinzu kommen massive Alkohol- und Drogenprobleme in weiten Teilen der Bevölkerung. Ich weiß wovon ich rede, ich komme selbst aus der Region. Es ist eine Blaupause der 30er Jahre und wir werden wohl erleben müssen wie sich Geschichte erneut wiederholen wird.

      1. Hallo Peter,
        auch ich komme aus dieser „Region“. Ich bin so ein“ gefühlter Verlierer, bildungsunwillig“ und natürlich mit „massiven Drogen- und Alkoholproblemen“. Ich bin zwar noch kein „verängstigter Rentner“, aber das dauert wohl wegen der „rasenden Alterung“ (was soll das sein???) nicht mehr lange! Da dies ja in „weiten Teilen der Bevölkerung“ so ist, frage ich mich, wie dann Sachsens Kinder den 1.Platz im PISA-Test geschafft haben, mit diesen Eltern.
        Aber es ist doch schön, dass Ihnen Raphael Thelen eine Plattform für so viel Unsinn bietet, passt es doch 100% in sein Klischee.
        Aus meiner Sicht haben die Menschen einfach Angst etwas zu verlieren. Man hat nach 40 Jahren DDR und friedlicher Revolution (begonnen in Sachsen!!!) gelernt, sich selbst ein Bild zu machen. Und wenn man verschiedene Stadtteile im „Westen“ sieht, wo sich nicht einmal Polizei hin traut, will man das in Sachsen nicht haben – außer einigen Oppositionspolitikern, die sich durch Destabilisierung des Landes profilieren wollen. Diesen „Frust“ an Asylanten auszulassen, ist natürlich der völlig falsche Weg. Schließlich leben wir in einem demokratischen Land, dessen Gesetze uneingeschränkt zu akzeptieren sind.
        Die gegenwärtige Lage in vielen Ländern Europas zeigt, dass von vielen Teilen der Bevölkerung Multi-Kulti nicht gewünscht wird. Auch ich bin der Meinung, dass Multi-Kulti nicht funktioniert. Bin ich jetzt ein Nazi?
        Schöne Grüße aus dem Erzgebirge
        Maik

        1. Lieber Maik,

          danke für deinen Kommentar. Was meinst du genau, wenn du schreibst, dass sich einige Oppositionspolitiker durch Destabilisierung des Landes profilieren wollen?

          Schönen Gruß,

          Raphael

        2. Hallo Maik,
          ich kann nur berichten, was ich täglich in Sachsen beobachte und erlebe. Und was ich da in den letzten Jahren zunehmend sehe, wie Menschen sich in der Öffentlichkeit verhalten, sich gehen lassen, mit welche Umgangsformen sie anderen Menschen begegnen und wie immer offener hasserfüllte und verschwörungstheoretische Geisteshaltungen zur Schau getragen werden, ohne dabei irgendeine argumentative Diskussion zuzulassen oder dem Gegenüber erst einmal zuzuhören, dann graut es mir offen gesagt um meine Heimat.
          Eine Meinung über Ihre Person kann und darf ich mir nicht bilden, da ich Sie und ihre Geschichte nicht persönlich kenne.
          Die Ergebnisse des PISA-Tests mögen ja gut sein. Die Trennung in diejenigen, die gut gebildet des Geldes und der Chancen wegen in den Westen gehen und diejenigen, die weniger gut gebildet zurückbleiben und es im Beruf und Alltag schwer haben und sich wie Bürger 2. Klasse fühlen, erfasst der PISA-Test nun eben nicht mehr.
          Können Sie mir auch erklären, warum die Menschen 2008 keine solch massiven Verlustängste hatten, als das Bank- und Finanzsystem mit ungleich mehr Staatsgeld gerettet werden musste, woraufhin heute die Lebens- und Riesterversicherungen nur noch für die Katz‘ sind und die kleinen Sparer noch heute durch die Zinspolitik quasi schleichend enteignet werden? Wo waren da die Demonstrationen besorgter Bürger? Wo war da der Aufschrei der Sachsen, welche offenkundig etwas mehr von der Welt verstehen als alle anderen?
          Oder war es da schwieriger, Hass zu empfinden, weil man keinen Sündenbock hatte, der sich durch seine Fremdartigkeit anbot?
          Zu Multi-Kulti fehlt mir eine zufriedenstellende Definition, um bewerten zu können ob das funktionieren kann oder nicht. Ghettoisierte Stadtteile oder Clans und gesetzeswidriges Verhalten sind für mich jedenfalls kein Multi-Kulti. Meiner Meinung nach ist unser Grundgesetz ein ausgezeichneter und ausreichender Rahmen für das Zusammenleben. Da soll sich der Muslim genau so dran halten wie der Christ oder der Ex-DDR-Bürger. Ganz einfach.

      2. Hallo Raphael,
        ich komme aus Sachsen und bin von Privat- und Berufswegen ständig quasi entlang des Erzgebirges unterwegs.
        Ich muss betonen, dass auch innerhalb von Sachsen schon immer sehr verschiedene Mentalitäten je nach Region typisch waren und sind (ohne jetzt alle Menschen einer Region in eine Schublade zu stecken).
        Was ich erlebe ist, dass v.a. um Dresden herum (wo es mich beruflich hin verschlagen hat) sich aus der alten Tradition des Jammerns und Meckerns heraus besonders eine Stimmung des Hasses und eine Opfermentalität gebildet hat. Das „Tal der Ahnungslosen“ wurde ob dieses Menschenschlages schon zu DDR-Zeiten von außen immer mit einer gewissen Verwunderung gesehen. Zur Wende wurde hier zuerst nach der D-Mark gerufen und „Wir sind ein Volk“ (statt „Wir sind das Volk“) skandiert.
        Ansonsten gibt es jetzt eigentlich keine besonderen Orte in Sachsen, die mir exemplarisch für die aktuelle gereizte Stimmung und die sozialen Probleme einfallen. Es sind eher die Situationen, die ich alltäglich beobachte, schon eher gehäuft um Dresden herum, da ich eben hier auch lebe.
        Da zeigen Nazis hemmungslos ihre Symboliken auf Autos und Kleidung, weil sie sich vor dem politischem Gegner sicher fühlen und von der Polizei nichts zu befürchten haben. Da verrohen die Sitten im öffentlichen Umgang miteinander, sei es im Autoverkehr oder im Einkaufszentrum. Da hört man im Bekanntenkreis aus allen Richtungen die gleichen AfD-, NPD- und Verschwörungsphrasen und weiß nicht – meint derjenige das jetzt wirklich ernst, gibt es 1 EUR Bonus für korrektes Nachplappern oder traut er sich auch schon keine eigene Meinung mehr zu? Da trägt selbst Frau am Sonntag an der Tankstelle die Bierkiste ins Auto (mit Aufkleber am Heck: „Wir sind das Pack“), weil’s halt woanders gerade keinen Nachschub mehr gibt. Da siehst Du zu jeder Tagzeit Leute mit der Bierflasche in der Hand herumlaufen, die sich noch nichtmal zu dumm sind diese dann geleert einfach auf dem Spielplatz oder im Park irgendwo fallen zu lassen. Da hast Du den Rentner auf seinem Balkon oder in seinem Garten, der zu einem normalen Gesprächston gar nicht mehr in der Lage ist, sondern nur noch brüllend und keifend mit hochrotem Kopf über das jeweils aktuelle Aufreger-Thema (meist Asylanten) schwadroniert.
        Solche Leute gab es wie gesagt schon immer und überall. Aber derzeit übernehmen sie gerade merklich das Alltagsbild.

  5. Ich finde es sehr schade das hier so eindeutig dieser Tag in Plauen geschindert wurde und auch recht schlecht recherchiert: die Demo des III Weges wurden durch Bayern angemeldet …. Der Großteil der Teilnehmer kam aus allen Teilen Deutschlands und sogar Europa. Richtig ist das viel ostdeutsche Bürger kritisch der derzeitigen Politik gegenüber stehen …. Aber eine gute Demokratie muss so etwas aushalten …. Leider ist es zu einer neuen kreativen Art der Politik geworden andersdenkende oder gar kritische Bürger gleich in die rechte Ecke zu stellen, statt sich schwierigen Fragen zu stellen oder gar Fehler zu zugeben. Dennoch an diesem Tag war Plauen Schauplatz und nicht Ursprungsort und somit wundert es mich nicht wenn solche schlecht reschierte Artikeln veröffentlicht werden, dass Menschen von einer Lügenpresse sprechen. Journalisten müssen neutral sein und alles genau berichten, auch das weglassen von Details verstehe ich als Lüge, da man so versucht den Lesern eine bestimmte Meinung aufzudrängen. Aber glücklicherweise leben wir in einem freien Land indem jeder seine Meinung haben und äußern darf dessen sollten wir uns alle immer bewusst sein, das war nicht immer so, so lange man diskutieren kann höre ich gern jede Meinung.

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