Noch nicht wütend

Donald Trumps Zeigefinger stößt in die Luft, wie ein Raubvogel. Tack. Tack. Tack. „Don’t be rude! Don’t be rude!“, brüllt er einen CNN-Reporter nieder, dann: „You are fake news!“ Mit einem Kumpel sehe ich im Livestream, wie Trump sich zum ersten Mal seit seiner Wahl der Presse stellt und wir müssen lachen, witzig ist es nicht. Es verstört mich. Warum packt mich jedes Mal dieses Gefühl, wenn ich Trump sehe?

Professor Doktor Lars Koch steht vor dem Burger King im Dresdener Hauptbahnhof und lässt sein Smartphone in die Tasche gleiten. Ich treffe ihn, um durch Dresden, Deutschlands Angsthauptstadt, zu spazieren und dieser Frage nachzugehen. Koch ist Medien- und Literaturwissenschaftler an der TU Dresden, Herausgeber eines Handbuchs zum Thema Angst und Autor von Büchern wie „Horror als Kulturkritik: von Zombies, Untoten und anderen lebendigen Wiedergängern der neoliberalen Kontrollgesellschaft.“ Er, denke ich, sollte es irgendwie wissen.

Der Bürgersteig vor dem Bahnhof ist schmutziggrau vereist, Passanten mit eingezogenen Köpfen setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen, ein Bus bremst schwerfällig. Wir spazieren los Richtung Stadtmitte.

Woher kommt meine Angst, Herr Koch? „Ich glaube“, sagt der 43-Jährige, „es hat viel damit zu tun, dass die 80er und 90er Jahre, in denen wir sozialisiert worden sind, uns mit einem Grundvertrauen in die Vernünftigkeit und Funktionsfähigkeit der Gesellschaft ausgestattet haben.“ Ich muss an meinen Kumpel Suri denken. Er hatte an Silvester auch über Grundvertrauen gesprochen, meinte, er hätte bis vor kurzem immer geglaubt, dass die Dinge sich schon in die richtige Richtung entwickeln würden. Jetzt will er sich mehr engagieren.

Auch Koch will mit seiner Arbeit aufklären, statt das tausendste Buch über Goethes Wahlverwandtschaften zu schreiben, mischt er sich politisch ein, eine Einstellung, die ihm seine Eltern verpassten. „Deswegen wende ich mich popkulturellen Phänomenen zu, mit denen ja gerade auch die Kids täglich konfrontiert sind.“ Also: Zombies, Game of Thrones, Casting-Shows.

Und woher kam dieses Grundvertrauen?, frage ich. Koch holt aus: Die German Angst wurzelt im Dreißigjährigen Krieg, der das Territorium des späteren Deutschlands verwüstete. Gott wird etwas später von den Aufklärern getötet, die Kirche entmachtet, doch unter der hackenden Guillotine der französischen Revolutionäre stirbt auch der angebotene Gottesersatz: der Glauben an die Vernunft. Der Mensch fühlt sich alleingelassen im weiten Universum. „Seit dem Ende der Romantik kann man dann auch zeigen, dass deutschsprachige Autoren ein Faible für Apokalypsen haben“, sagt Koch. Demnach sei es  kein Zufall, dass es die deutsche Wandervogelbewegung um 1900 gewesen sei, die die ersten Warnungen vor dem ökologischen Untergang verfasst hätten. Parallel sehnt die Literatur vor dem Ersten Weltkrieg den Weltenbrand als Katharsis herbei. „Leute wie Ernst Jünger schrieben, man müsse durch die Angst hindurch vom banalen Mann zum eigentlichen Leben.“ Es brauchte Verdun, Stalingrad und Auschwitz, um die Deutschen von dieser Idee abzubringen.

Arnold Gehlen, Theodor W. Adorno und die Umweltbewegung in den 80er Jahren, interpretierten in der Folge den Angstbegriff um, forderten eine Gesellschaft und einen Staat, in dem der Mensch frei von Angst leben kann.

Und als die USA und die Sowjetunion Anfang der Neunziger aufhörten, Atomraketen aufeinander zu richten, lebten wir tatsächlich in ganz guten Zeiten,  wirtschaftlich ging es bergauf. Das sind dann auch die Jahre, denen das Grundvertrauen der Generation Y entspringt und dazu passen die Filme, die uns prägten: Star Wars, Herr der Ringe, Harry Potter. „Die funktionieren alle nach einem übersichtlichen Gut-Böse-Schema und am Ende siegt immer die Vernunft“, sagt Koch.

Wir sind durch die Shoppingstraße zum Altmarkt gelaufen, auf dem Pegida das erste Mal demonstrierte. Im Schnee liegt ein schwarz-weißer Flyer, auf dem steht: „Merkel muss weg.“ Gegenüber verhüllen Gerüste die Fassade des Kulturpalasts, verstecken ein Stück gebrochenen DDR-Stolz. Wir gehen weiter, vorbei an der Frauenkirche, die im alliierten Bombenangriff verbrannte, genau wie große Teile der Stadt. Dresden kennt die Angst.

Koch will in ein kitschiges Café gehen, eine Erfahrung, die man machen muss, sagt er mit einem Lächeln. Das klassische Dresden ist zur Gruselveranstaltung für Leute wie uns geworden, denke ich. Doch das Café wird gerade renoviert und Koch sagt: „Lassen sie uns dann einfach tapfer weiterlaufen in die Neustadt und da einen Kaffee trinken. Die Neustadt ist so etwas wie das Kreuzberg Dresdens und da wohne ich auch.“ Im Weitergehen nimmt er den Faden wieder auf.

Am Elbufer. Foto: Thomas Victor

Der Sommer unserer Jugend endete, als die Dotcom-Blase platzte, kurze Zeit später zwei Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen und Gerhard Schröder die Hartz IV-Reformen durchzog und damit den neoliberalen Turn vollzog, der sich mit der zunehmenden Globalisierung potenzierte. George W. Bush peitschte nach 9/11 die Angst der amerikanischen Bevölkerung in panische Höhen, um den Irakkrieg zu rechtfertigen und Schröders Politik schrie der deutschen Mittelschicht ins Gesicht: Du musst kämpfen, sonst bist du erledigt.

Die Zukunft wurde für viele zum Angstraum. „Der zentrale Aspekt dabei ist die neoliberal implementierte Abstiegsangst. Davon erzählt auch jede Casting-Show: The Winner takes it all!, und der zweite und dritte fallen raus und erleiden den Soziale-Medien-Tod, die werden nie wieder gesehen“, sagt Koch. Ebenfalls symptomatisch ist die große Beliebtheit von Auswanderer-Shows, die mit ihrem Prinzip Einfach-den-ganzen-Scheiß-hinter-sich-lassen-und-abhauen, einen Traum von Flucht bedienen, den viele hegen.
Dabei ist Angst immer diffus, fühlt sich ungreifbar an, drückt gleichzeitig in der Brust und scheint ihren Träger überall zu umgeben, so dass er oder sie ihren Ursprung nicht bekämpfen, nicht vor dem Gefühl fliehen kann. „Außerdem führt Angst bei den meisten Menschen dazu, dass sie immer vom schlimmsten Fall ausgehen“, sagt Koch. 2015, als Flüchtlinge über die Autobahn von Ungarn nach Österreich laufen und die Filmaufnahmen in deutsche Wohnzimmer schwappen, bricht sich die diffuse Weltangst an der Gestalt des Flüchtlings, sie verwandelt sich zur Furcht. Furcht hat, anders als Angst, eine benennbare Ursache und damit ein Ziel, dass sich bekämpfen lässt, in diesem Fall der Flüchtling, der zum Sündenbock gemacht wird.

„Es gibt eine popkulturelle Zirkulation von Bildern, die bestimmte politische Prozesse und Lösungsvorschläge plausibler machen. So werden in Filmen, die Zombies und Mauern thematisieren, immer auch Flüchtlingsnarrative verhandelt“, sagt Koch, um auf sein Spezialgebiet zurückzukommen. „Und solche Filme häufen sich in den vergangenen fünf, sechs Jahren. Das heißt nicht, dass wir jetzt Pegida haben, weil es den Film World War Z gibt. Aber es hat damit zu tun.“

Ich mag Zombiefilme. Dawn of the Dead vertrieb uns Sonntagsmorgens oft den Kater, als mein Bruder und ich noch zusammen wohnten. World War Z guckte ich kürzlich noch mit meiner Schwester. Trotzdem bin kein Fremdenfeind, doch Koch sagt, dass die Filme unterbewusst etwas vermitteln: Die Zombies sind die Fremden, die unsere heile Welt stürmen. Dagegen helfen nur Mauern, hohe Mauern, wie Trump sie an der mexikanischen Grenze errichten will. Und auch in Game of Thrones, der erfolgreichsten Serie aller Zeiten, hält eine Mauer die Zombie-Combo White Walkers zurück, die die Menschen mit der „Langen Nacht“ bedrohen. Dazu kamen in den vergangenen Jahren etliche weitere Filme: Walking Dead, 28 Days Later, The Colony, Land of the Dead, Resident Evil, Resident Evil Extinction, Resident Evil Apocalypse. Der letzte Satz bei World War Z lautet: „Be prepared for anything.“

Und das ist der Auftritt der Rechtspopulisten, die den Verängstigten gegenübertreten, wie der Vater, der seinem weinenden Kind sagt: Nein, da ist nicht ein Monster unter deinem Bett. Da sind drei. Deswegen ist Koch auch überzeugt, dass das Level der Angst seit 1945 nicht mehr so hoch war, wie heute. Der Atomkrieg, das Waldsterben, die Ölkrise: Dagegen konnte man nichts tun, nur sich wegducken und hoffen. Doch die Angst gegenüber Flüchtlingen wird aufgepeitscht, in den sozialen Medien und durch Journalisten und Politiker. Sie wächst und sucht sich konkrete Ziele. „Dabei arbeiten Rechtspopulisten gerne mit dem Postfaktischen, mit Gerüchten und Verschwörungstheorien“, sagt Koch.

Und das scheint es zu sein, was mir diese Angst einjagt. Klar wurde uns nach der Schule gesagt, dass wir alle keine Jobs kriegen, wenn wir uns nicht anstrengen, die Rente ist nicht sicher und da draußen ist irgendwo der Klimawandel. Aber ich war immer überzeugt, dass Vernunft in der Welt herrscht, dass es um Argumente geht und es deswegen schon grob in die richtige Richtung geht.

Und jetzt steht Trump auf seiner Pressekonferenz und schimpft einen Journalisten aus, ruft, dass dieser nicht „unhöflich“ sein soll. Der gleiche Trump, der ständig betrügt und stolz darauf ist, der damit prahlt, Frauen gegen ihren Willen zwischen die Beine zu greifen, der Behinderte verspottet, Mexikaner und Muslime beschimpft, er, der große Lügner brüllt einem angesehenen Journalisten ins Gesicht: „You are Fake News!“

„Trump funktioniert nach einer anderen Rationalität“, sagt Koch „und das ist eine Angstquelle, diese Unsicherheit und Nicht-Kalkulierbarkeit. Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen, das müssen wir noch lernen. Doch Trump macht uns nicht nur Angst, sondern macht uns vor allem auch wütend, weil diese geballte Form der Inkompetenz mit dieser Arroganz der Macht verknüpft wird.“

Nein, denke ich, wütend bin ich noch nicht. Da sind mir die Flüchtlingsfeinde einen Schritt voraus. Ihre Wut sucht sich zwar das falsche Ziel, selbst wenn der letzte Migrant Deutschland verlassen hat, herrscht immer noch der Neoliberalismus, aber sie haben einen Ziel und das hilft mit der Angst umzugehen, ich hingegen kann angesichts meiner Angst noch nicht mal entscheiden, was zu tun ist: fliehen oder kämpfen?

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