Tag 2: Veränderte Wahrnehmung

Ich laufe von meiner Ferienwohnung zum Bäcker. Auf dem Bürgersteig, hundert Meter vor mir, steht eine lose Gruppe von Sechzehn-, Siebzehnjährigen. Sie gucken in meine Richtung, besprechen irgendetwas, lugen wieder zu mir. Reflexhaft beginne ich die Logos und Wörter auf ihren T-Shirts zu lesen. Ich bin nicht gerade blond, im Nahen Osten und in Italien konnte ich mich als Syrer verkleidet in Flüchtlingslager schmuggeln. Checken die Jungs auf dem Bürgersteig mich deshalb aus? (176 Wörter)

Als ich näher komme, geht einer von ihnen von der Gruppe weg, auf die andere Straßenseite. Die Anderen zögern, dann gehen sie auch. Auf ihren T-Shirts stehen die üblichen Fantasienamen und –wörter, nichts bedrohliches, kein Thor Steinar.

Wahrscheinlich war nichts. Aber ich merke, wie sich meine Wahrnehmung des Orts ändert, seit ich gestern die vielen Geschichten über Nazischläger gehört habe.

Der Bäcker liegt am Altmarkt, dem Platz, auf dem am Samstag der Sternmarsch enden soll. Ich frage die Bäckerin danach.

„Ja, das Ordnungsamt war hier“, sagt sie. „Da ist wohl eine Demo. Ich soll hier alles gut zumachen.“

„Und wer demonstriert da?“

„Keine Ahnung, weiß ich nicht“, sagt sie. Ist da Unsicherheit in ihrer Stimme? Keine Ahnung. „Hier ist Ihr Kaffee.“

4 Kommentare

  1. Glück auf,

    Es erfreut mich sehr das sich 2 Menschen die Zeit nehmen um sich mit der Problematik in Sachsen zu befassen. Auch das Aue da eine Rolle spielt erfreut mich. Zu gerne hätte ich euch angetroffen und ein Gespräch mit euch geführt. Ich und mein Mitbewohner sind beide links und merken den Rechtsruck deutlich. Es ist eine schande was sich hier abspielt und wie die Menschen teilweise denken ABER es gibt auch Hoffnung. In letzter Zeit stellen wir öfter fest das sich vor allem bei der jüngeren Generation die Meinung ändert und sich in die andere Richtung bewegt. Es scheitert leider nur am Mut ihre Meinung öffentlich zu zeigen (wundert ja keinen…). Passt auf euch auf! 🙂

  2. Sehr geehrter Verfasser,
    ich weiß aktuell nicht, ob Sie tatsächlich auf der gleichen „Demo“ waren, die ich erleben durfte / musste und was Sie in all der anderen Zeit in Aue gemacht haben. Auch scheinen Sie zeitweise eine andere „Rede“ gehört zu haben, denn das, was ein Herr Hartung als erstes von sich gab, war für ihn eigentlich nur peinlich und demaskierend, aber dazu gleich mehr. Ich werfe Ihnen vor, einem weitgehend vorgefassten Bild entsprechend Dinge und Details wegzulassen und dafür andere gezielt zu überstrapezieren, wobei ich über Ihre Beweggründe nur spekulieren kann.
    Um eines klarzustellen: Ich verachte besagten Herrn und seine Kumpane zutiefst und ich bin mir wohl im Klaren darüber, dass auch hier in (zu) vielen Köpfen Gedankengut haust, das unerhört und mitunter unsäglich ist. Ebenso muss ich bestätigen, dass es oft Menschen gibt, die den Konflikt scheuen und aus Angst gewisse Zeitgenossen mit ihrer kruden Weltsicht nicht zurechtweisen wollen. Meine Klappe halte ich an dieser Stelle für Gewöhnlich nicht und argumentiere dagegen bzw. weise ggf. zurecht, wo ich dies für notwendig erachte, ganz gleich, ob in Aue oder in BW, BY, HE etc., wo ich ebenfalls mit solchem Unfug konfrontiert wurde. Das ist aber nur eine Randbemerkung.
    Mein Standort war vor der Sparkasse, wahrscheinlich standen Sie gar nicht so weit weg, auch die von Ihnen geschilderten anderen Standorte hatte ich bereits in Augenschein genommen. Ganz offen – Warum haben Sie so viel Angst gehabt? Ich habe gefilmt, fotografiert, dazwischengerufen – und ich lebe noch! Nun aber folgende Fragen an Sie:
    Warum kein Wort darüber, dass der Herr Hartung sich als Erstes mit der Teilnehmerzahl unzufrieden zeigte? Seine ersten Worte drehten sich nämlich um dieses Thema (Ausreden: Jugendweihen, Stau, Fussball….), die nächsten Worte richtete er an seine von überall herkommenden Gefolgsleute (Altenburg, Zwickau, Plauen…). Auf den Transparenten war die Herkunft bestens zu lesen – Warum kein Wort darüber? Ich habe gezielt nachgesehen, wen ich ggf. kenne, Auer waren nur wenige darunter und so groß ist unsere Stadt nicht. Es waren doch die stets gleichen „Hundertschaften“, die schon x-mal vorweg in Stollberg, Annaberg und anderswo zusammengekarrt wurden, gut erkennbar an den Transparenten und – man staune- an den Autokennzeichen! Warum haben Sie das ignoriert bzw. nicht sondiert? Das wäre eine ganz leichte Übung gewesen, aber ich vergesse, Sie mussten ja zum Luftholen auf den Berg….Sarkasmus, aber manchmal geht es nicht anders. Die Veranstaltung war ein Flop, was viele so sahen, die dieses „Sammelsorium“ mit im Auge behielten. Wo die Zahl 600 herkommt, ist mir unklar, ich habe an 2 Stellen durchgezählt und veranschlage das Ganze mit gerade einmal 400 Teilnehmern – angekündigt waren von Herrn H. 2.000-3000! Lila-Weiss Gekleidete oder Beschalte, und das war mir auch wichtig, habe ich nicht entdecken können. Kein Wort von Ihnen darüber, dass um die Ecke und damit inmitten der von Ihnen, ich empfinde es nicht anders, so bös kritisierten Kommune ein Asylantenheim steht. Es ist untergebracht in einem Gebäude des hiesigen BSZ mit Hunderten Jugendlichen, ich gehe 2 mal am Tag daran vorbei und höre dabei manchmal mehr Arabisch als Deutsch, Dutzende der Asylanten lernen hier die deutsche Sprache….und es scheint zu funktionieren! Ich habe jedenfalls noch nichts Gegenteiliges gehört, aber wie kann denn so etwas in der von Ihnen geschilderten Stadt nur funktionieren? Keine Silbe über den Verein „Die Brücke“ oder andere, primär kirchliche Aktivitäten, die sich hier intensiv um die Leute kümmern. Ich könnte noch mehr aufzählen, aber ich lasse es.
    Einen ähnlichen Diskurs hatte ich zuletzt mit RTL, die Arroganz mancher Medien ist mitunter, ich bitte um Nachsicht, nur schwer erträglich… Zweifelsfreie „Glatzen“ habe ich in Aue schon länger nicht mehr gesehen, nur zugereiste dieser traurigen Spezies, aber eben auch keine Punks…. In Anbetracht all dieser Punkte frage ich mich neuerlich, ob wir tatsächlich beide auf dem Auer Altmarkt waren und ob Sie nicht besser etwas mehr recherchieren und weniger verzweifeln hätten sollten. Eine journalistische Glanzleistung war Ihre Arbeit keinesfalls und ich bleibe bei meiner eingangs erläuterten Meinung – das geht definitiv besser und das Traurige ist, hier wird dann eben doch mit Pauschalisierungen gearbeitet, die man andererseits eigentlich beklagt und verurteilt. Die besagte Demo war im Übrigen tatsächlich kaum bekannt, auch ich habe erst 2-3 Tage vorweg davon erfahren und dies mehr zufällig. Dies kann man den Leuten sicher nicht zum Vorwurf machen bzw. als Beleg für flächendeckende Gleichgültigkeit hinzuziehen.
    Zum Schluss: In Leipzig habe ich nach dem ROME-Konzert am Tag nach den Pariser Attentaten mit (offensichtlich) Studenten eine Kontroverse zu einer unsäglichen Aussage ihrerseits über die Opfer gehabt – ich hätte so etwas nicht ansatzweise für möglich gehalten, aber so kann man sich täuschen – auch in Leipzig….

    Mit freundlichem Gruß
    Ekkehard Koch

    1. Lieber Herr Koch,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Tatsächlich sind solche Schilderungen immer subjektiv und stark von der eigenen Erfahrung geprägt und was Sie schreiben, bestätigt meine Beobachtung. Dafür möchte ich Sie nicht verurteilen, aber es erklärt die Diskrepanz unserer Erlebnisse.
      Sie wohnen in Aue, scheinen es gewohnt zu sein, dass „Hunderschaften“ von Rechten herangekarrt werden und fremdenfeindliche Slogans rufen, ohne, dass es nennenswerte Gegenproteste gibt.
      Ich habe bisher nur in Städten gewohnt, in denen es solche Proteste nicht gegeben hat. Und wenn doch, dann kamen vielleicht 100 Rechte und 2000 bürgerliche/linke Gegendemonstranten.
      Für mich war es also nicht bemerkenswert, dass „nur“ 400/600 Rechte da waren und diese aus allen möglichen Gemeinden kamen, für mich war es bemerkenswert, dass sie überhaupt so ungestört marschieren konnten. Und vielleicht würde ich mich jetzt auch angstfreier dort bewegen – wie ich in dem Artikel erwähne – vielleicht war es nur Paranoia. Vielleicht setzt bei mir auch ein Gewöhnungseffekt ein und ich empfinde Sätze wie „Gut und Blut für Volk und Freiheit geben“ als normal. Tatsächlich würde mein nächster Bericht aus Aue warhscheinlich weniger dramatisch ausfallen, weil ich schon ein bisschen mehr in der „Neuen Normalität“ angekommen bin. Ob das jedoch gut wäre, sei dahin gestellt.
      Ist das die Arroganz der Medien? Oder sind das einfach Maßstäbe, in denen 400 Rechte, die durch einen Ort marschieren und Flüchtlinge als „Schwimmbeckenscheißer“ beschimpfen, 400 zu viele sind?

      Mit freundlichen Grüßen,

      Raphael Thelen

      1. Sehr geehrter Herr Thelen, ihre Antwort habe ich im Kurzurlaub zufällig entdeckt. Meine Sicht der Dinge bleibt kurz und knapp weitgehend unverändert. Sie waren auch jetzt nicht in der Lage, auf konkrete Sachverhalte/Fragen einzugehen. Das ist und bleibt für mich unverständlich. Ich hätte Ihnen diese Fragen gern in der Runde im Auer Rathaus persönlich gestellt, es brennen mir noch weitere unter den Nägeln, aber die Arbeit geht nun mal vor. Inakzeptabel sind für mich Auftritte wie der der Rechten auch weiterhin, mit Verweis auf meine ersten Ausführungen aber auch eine solch herablassende und eine gesamte Kommune diskreditierende Darstellung wie die Ihre. Hier kommen wir, so mein Eindruck, wohl auf keinen gemeinsamen Nenner. Sie sind leider mit solch einem Agieren nicht Teil der Lösung, sondern eher ein kleiner Teil des Problems. Die Rathausrunde möchte ich nach dem, was mir bekannt ist , so kommentieren wie Ihren Artikel: Das geht sicher besser….. Mit freundlichem Gruß via Handy, Ekkehard Koch

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