Tag 4: Masse und Macht

Als die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurden, entdeckte Simone Frieder die Buchstaben, eingeritzt in die Tische ihrer Schüler: NSU. „Einige Schüler scheinen sich damit zu identifizieren“, erzählt uns die Lehrerin an einer Mittelschule eines Nachbarorts von Aue. „Es scheint, als sei das Tabu gebrochen, ausländerfeindliche Sachen zu sagen.“ 24 Stunden später applaudiere ich den rassistischen Parolen der Redner des Sternmarschs, aus Angst verprügelt zu werden, würden die anderen merken, dass ich nicht dazugehöre. (2862 Wörter)

Simone Frieder ist uns als engagierte Lehrerin empfohlen worden, wir wollen sehen, ob nicht auch Menschen rund um Aue leben, die außerhalb des braunen Mainstreams stehen. Die vergangenen Tage sind wir nicht wirklich an Rechte rangekommen und trotzdem blitzte braunes Gedankengut in jedem Gespräch und jedem Gang durch den Ort hervor: Beim Mittagessen im Restaurant „Picknick“ lag das neurechte Magazin Compact aus, auf dem Markt gab es Landser-Hefte zu kaufen, auf den Heckscheiben der Autos prangten „Todesstrafe für Kinderschänder“-Aufkleber – ein Neonazicode.

Aue Compact
Lunch-Lektüre

Simone Frieder, eine warme, feinfühlige Person, die Wert auf ihren christlichen Glauben legt, trifft uns am Tag vor dem Sternmarsch im modernen Musikraum der Schule.

Kürzlich führte sie mit ihren Schülern ein Theaterstück über jüdische Kinder in Konzentrationslagern auf. Sie will, dass die Kinder Empathie lernen und möchte dieses Jahr noch eindringlicher inszenieren. Im neuen Stück wird Deutschland von Krieg zerrissen und das einzige Land, in das die Menschen fliehen können, ist Ägypten, wo sie ausgegrenzt und gegängelt werden. Die Schüler gehen in die Klassen fünf bis acht, einige spielten schon beim ersten Stück mit.

„Als Erstes sprach ich mit den Kindern über ihre Sicht auf Flüchtlinge“, erzählt Frieder. „Ich hatte gehofft, dass die Kinder etwas aus dem ersten Stück gelernt haben.“ Zu ihrer Enttäuschung stellte sie fest: Es gelingt den Kindern nicht, die Parallelen zwischen Antisemitismus und der aktuellen Situation zu sehen. Eine Schülerin spiegelte, was sie von ihrem Umfeld gelernt hatte: Hass auf Flüchtlinge.

Ich frage sie nach dem rechten Sternmarsch, der am nächsten Tag durch Aue ziehen soll, warum sie denke, dass so viele Menschen hingehen werden. Sie hat nichts davon gehört.

Zu einer Erklärung für die vielen Demos in Sachsen kommt sie erst über den Umweg ihrer eigenen Lebensgeschichte, eine alte Sache aus DDR-Zeiten, an der sie eigentlich nicht mehr rütteln will, die sie aber bis heute beschäftigt: „Man verliert mit zunehmendem Alter sowieso immer mehr sein Urvertrauen. Deshalb habe ich nie meine Stasi-Akten eingesehen, obwohl manch alter Freund vielleicht bei der Staatssicherheit war.“

Eigentlich erinnert sie sich gerne an ihren alten Freundeskreis. Außergewöhnlich eng waren die Beziehungen, man vertraute und unterstützte sich gegenseitig. Und vielleicht war es diese Vertrautheit, die ihnen zum Verhängnis wurde. „Irgendwann wurde von außen an uns herangetragen, dass einer aus unserer Mitte ein Stasi-Mitarbeiter sei“, erzählt Frieder. Erst ignorierten die Freunde die Anschuldigung. Doch langsam ging die Saat auf und das Misstrauen unter den Freunden wuchs, Stück für Stück zogen sie sich voneinander zurück, bis der Kontakt abbrach.

Das Ministerium für Staatssicherheit nannte diese Technik „Zersetzung“, Misstrauen sähen ersetzte den offenen Terror. Die Montagsdemos, die das Ende der DDR einleiteten, seien da wie eine Katharsis gewesen, meint Frieder. „In der Gruppe hatte man den Staat nicht mehr zu fürchten.“ Vielleicht sei das der Grund, warum auch heute die Menschen in Sachsen die Gemeinschaft der Demos suchten.

Als Vorbereitung auf die Sachsen-Reise habe ich noch mal Masse und Macht von Elias Canetti gelesen. Das Buch gilt als literarisches Standardwerk der Massenpsychologie, vieles was ich las, erinnerte mich an meine Besuche bei Pegida. Der erste Satz des Buches lautet: „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. (…) Alle Abstände, die die Menschen um sich geschaffen haben, sind von dieser Berührungsfurcht diktiert.“ Und dann später: „Es ist die Masse allein, in der der Mensch von dieser Berührungsfurcht erlöst werden kann. (…) Je heftiger die Menschen sich aneinanderpressen, um so sicherer fühlen sie, dass sie keine Angst voreinander haben.“

Simone Frieder öffnet sich uns schnell, es ist eines dieser außergewöhnlichen Gespräche, in denen man die Umwelt vergisst, im gemeinsamen Gespräch versinkt und schnell zu den wesentlichen Themen vordringt. Später ruft sie an und bittet darum, ihren Namen zu ändern.

Abgesehen davon finde ich es erschreckend, dass sie nichts von dem Sternmarsch wusste. In jedem Ort, in dem ich bisher wohnte, wäre es Gesprächsthema Nummer eins, wenn eine rechte Demo mit 2000 Teilnehmern angemeldet wird. Rund um Aue scheint das nicht der Rede wert zu sein.

Vor dem Gespräch in der Schule treffen wir uns mit Michael Scheffler, er leitet mit seinem Team das Fanprojekt des Fußballclubs FC Aue (FCE). Scheffler will keine Fotos und eigentlich nicht mit uns reden, wieder schlägt uns dieses Misstrauen entgegen, als hätte er etwas zu verbergen.

Er macht dann aber doch einen guten, handfesten Eindruck, bezeichnet sich selbst als Street Worker für Fußballfans. Er organisiert das Turnier „Tolerant am Ball“, vermittelt zwischen Ordnungsamt und Fans, wenn letztere die Straßen mit Graffitis überziehen, nimmt an Polizeigesprächen vor Spielen teil, wenn wieder Gewalt zu erwarten ist.

Für seine Arbeit erhielt das Fanprojekt den sächsischen Bürgerpreis. Von öffentlichen Ansagen gegen Rechts sieht Scheffler jedoch ab, sagt, dass der erhobene Zeigefinger nichts bringe. Er redet lieber direkt mit seinen Leuten, macht sie auf die Konsequenzen ihres Handelns aufmerksam. Und wer Aggressionen hat, dem weise er den Weg in den Boxclub.

Mein Fotograf Thomas zeigt Scheffler ein Foto, das er im Stadion gemacht hat. Auf einer Sitzlehne klebt ein „Refugees not welcome“-Sticker. „Die Aussage ist klar“, sagt Scheffler. „Ich verwehre mich aber dagegen zu sagen, dass der ganze Block so drauf ist, nur weil da fünf solcher Aufkleber sind.“

  • Frank Steinbach - Street Worker des Fanprojekts FCE © Thomas Victor

Beim Rausgehen treffen wir im Aufenthaltsraum den zweiten Fanprojekt-Mitarbeiter Frank Steinbach. Noch so einer, der im Leben steht, sich nichts erzählen lässt, solide wie ein Fels. Auf seinem Unterarm prangt ein „Glück Auf“-Tattoo. Auch er winkt ab beim Thema rechts, spendiert uns stattdessen ein Glas Sprudel. Im Auto sind Thomas und ich uns einig. Die beiden machen den Umständen entsprechend gute Arbeit.

Abends gucke ich mir Steinbachs Facebook-Profil an. Ein bisschen Selbstironie, viel Kumpanei und ein Post der AfD-Wähler verarscht.  Dann rufe ich die Seite des rechtsgerichteten Widerstand Erzgebirge auf. In der Selbstbeschreibung steht: „Der Widerstand Erzgebirge dient dem Zweck, zu Informieren, zu Organisieren und wenn nötig zu Handeln!“

Die Gruppe hat ein Foto der Anmelder der linken Demo gegen den Sternmarsch gepostet. Ein großer Kerl mit Tattoos und einem roten Jutebeutel unter dem Arm. „Zeckenpack“, kommentierte jemand weiter unten, dazu ein Bild mit Insektenschutz. Etwas weiter oben steht der Kommentar: „Na seinen Turnbeutel hat er schon mal nicht vergessen, das wird Mama freuen. Wenn der Junge jetzt noch aufhören würde sich die Hände und Arme zu bemalen und lernt sich selbst die Schnürsenkel zu zubinden, dann stehen ihm politisch doch alle Türen offen.“

Frank Steinbach, der Fan-Projekt-Mitarbeiter mit den tätowierten Armen, kommentiert darunter: „Das mit den Tättos halte ich jetzt mal für eine dumme Bemerkung!!!!!“

Die beiden vom Fanprojekt machten einen guten Eindruck, Glaubwürdigkeit in der Fanszene ist ihre Währung. Aber sind Kommentare auf braunen Facebookseiten noch legitime Kontaktarbeit in der Szene oder ist das fehlende Abgrenzung nach Rechts?

Am nächsten Tag, beim Spiel des FCE gegen Werder Bremen II gehe ich in den Stehblock. Thomas ist am Morgen gefahren, er hat in Berlin einen Auftrag. Clowns ohne Grenzen treten in einem Flüchtlingsheim auf und er soll sie fotografieren. Vor dem FCE-Spiel haben die Veranstalter des Sternmarschs Flyer verteilt: „DEIN LAND BRAUCHT DICH FUSSBALLFAN“

Es ist noch eine Stunde bis Anpfiff, als Sirko sich neben mich stellt und mich anquatscht. Wo kommst du her? Gefällt’s dir hier? Was machst du? Ich sage ihm, dass ich kürzlich nach Leipzig gezogen und Journalist bin. „Da bist du auf jeden Fall ins richtige Bundesland gezogen. Wir haben zwar einen schlechten Ruf, dabei sind wir nur ehrlich.“

Er arbeitet bei einem Steinmetzbetrieb, baut Kamine, verkleidet Grabsteine. Er hat drei Kinder von drei Frauen, ist aus einem Ort bei Leipzig, kommt aber zu jedem Heimspiel des FC Erzgebirge runtergefahren. „Ich habe Rotz und Wasser geheult, als Aue abgestiegen ist“, sagt er. „Aber das ist auch nur passiert, weil die Westvereine untereinander mauscheln, weil die sich gegen den Osten verschwören. Der Westen verarscht den Osten schon immer. Bis heute sind bei uns die Löhne niedriger als bei denen.“

Zwischen Wutausbrüchen und Anfeuern kommen wir auf das Thema Flüchtlinge zu sprechen und er legt los.

„Auch wenn du der Polizeichef wärst, ich würde dir ins Gesicht sagen: scheiß Kanacken!“

„Ich muss rotieren, um mein Geld zu verdienen, die Flüchtlinge kriegen alles in den Arsch gesteckt!“

„Ich habe meinem Chef gesagt, dass ich nicht mit Ausländern zusammenarbeite. Ich würde die lynchen.“

„Ich war vier Jahre im Knast, weil ich getan habe, was ich gesagt habe.“

Er will nicht sagen, was er gemacht hat und ich bohre nicht nach. Stattdessen frage ich ihn, ob er schon mal mit Leuten aus anderen Ländern zu tun gehabt hat. Hat er nicht. Außer ein Mal, da war er auf Montage mit einigen Kroaten, die ihn immer mit „Heil Hitler“ begrüßten. „Da habe ich denen gesagt, ‚in Deutschland heißt das Guten Morgen!’, danach waren wir gute Freunde.“

Als ich nach dem Spiel vom Stadion weggehe, bin ich müde. Ich krame einen Energydrink aus meinem Rucksack. Er hilft nicht. Ich fühle mich erschöpft und ausgelaugt von der Selbstverständlichkeit, mit der Menschen wie Sirko hassen. Die letzten Tage haben ihre Spuren hinterlassen und ich will nicht noch mehr rechten Scheiß hören, aber in einer halben Stunde geht der Sternmarsch los und deshalb bin ich nach Aue gekommen, will fragen, warum die Menschen hingehen.

Am Bahnhof, einem der drei Startpunkte, stehen statt hunderter Teilnehmer, gerade mal ein paar Dutzend. Und dazu kaum FCE-Fans. Ich gucke mir die Leute an und begreife, dass ich hier kaum Fragen stellen kann. Die Rentner, Väter, Mütter mit Kinderwagen und Jugendlichen sind nicht gekommen. Stattdessen kleine eingeschworene Grüppchen älterer Männer und Frauen. Vielleicht könnte ich mich unter sie mischen und mich als Journalist outen, aber wahrscheinlich würden sie nicht mit mir sprechen. Auch das kenne ich schon von Pegida und ich bin zu müde für feindselige Sprüche.

Ich mache mich auf den Weg zum zweiten Startpunkt, in der Hoffnung, mit jemandem reden zu können. Auf dem Weg komme ich am Postplatz vorbei, wo sich die Gegendemonstranten treffen. Aus einem LKW dröhnt Punkmusik, die Jungs, die ich vor ein paar Tagen kennengelernt habe, wollten auch da sein, obwohl sie befürchten, dass später kleine Gruppen von Nazi-Schlägern durch den Ort ziehen.

Ich traue mich jedoch nicht, rüberzugehen, aus Angst, dass mich jemand sehen könnte, aus Angst, dass auch ich später die Konsequenzen tragen muss. Ich muss noch im Zug allein zurück nach Leipzig fahren. Fotograf Thomas ist in Thüringen aufgewachsen. Ein Mal kamen ein paar Nazis auf einer Grillparty von ihm und seinen Freunden vorbei. Ohne Grund fingen sie an zu prügeln. Bevor er wegfuhr, hatte er mir noch einen Rat gegeben: „Hau ab, bevor die Sportgruppen unterwegs sind.“ Sportgruppen, so nennen sich die Schlägertrupps.

Ich berichtete in den vergangenen Jahren über die Gewalt auf dem Tahrir-Platz, fuhr mit der Bundeswehr in Afghanistan Patrouille, recherchierte während des Bürgerkriegs in den syrischen Kurdengebieten. Aber nach vier Tagen in Aue bin ich zu eingeschüchtert, um mich frei zu bewegen.

Ich gehe weiter, vorbei an den Polizeibussen, die alle paar hundert Meter stehen. Als ich um die Straßenecke biege, um zum zweiten Startpunkt zu kommen, stocke ich. Da sind sie, die Nazischläger. Glatzen, breite Schultern, schwarze Klamotten mit Runenschrift. In Fraktur steht auf einem Transparent „Gut und Blut für Volk und Freiheit geben.“ Das sind die Typen, die Skateboardfahrer verprügeln. Und das ist ihre Straße. Das ist ihre Stadt.

Die Versammlung am zweiten Startpunkt
Glatzen und Frakturschrift. Die Versammlung am zweiten Startpunkt © Raphael Thelen

Mehrere Augenpaare taxieren mich, und statt souverän weiterzugehen, loszuplaudern und wie sonst mein Ding zu machen, bleibe ich stehen, halte mich nahe der Polizei. Mit dem Handy schieße ich unauffällig Fotos, tue so, als würde ich einen Anruf kriegen und gehe. Wieder kommt der Gedanke: Ich war auf den Straßen der tunesischen Revolution unterwegs, habe mit Milizionären in Libyen rumgehangen, wurde verhaftet und beschossen und jetzt habe ich ein Angstklos im Hals, weil ich durch eine deutsche Kleinstadt laufe? Wie kann ich es den Menschen, die hier wohnen, dann übel nehmen, dass sie nicht gegen Rechts aufstehen?

Am Altmarkt steht bereits ein Laster mit Mikrofon auf der Ladefläche und Lautsprechern davor. Es ist bis jetzt kaum jemand da. Aus den Boxen dröhnt: „Deutschland, Deutschland über alles.“

Ich sitze abseits auf einer Parkbank, geschützt durch eine Hecke, als ein Mittzwanziger mit Malerhose rumgeht und schwarz-rot-goldene Demoflyer verteilt. Ich nehme einen entgegen, dankbar, mich dahinter verstecken zu können. Dann hört man die Gruppe vom zweiten Startpunkt heranmarschieren. „Widerstand! Widerstand! Widerstand!“ hallt es durch die leeren Straßen. Und dann noch mal: „Widerstand! Widerstand! Widerstand!“

Als die Demo auf den Altmarkt einbiegt, stehen einige Rentner, die neben mir auf den Parkbänken sitzen, auf und gehen zum Platz. Ich zögere, schließe mich dann an. Vor mir zückt ein Typ mit einem „Deutscher Zivilschutz“-Pullover sein Handy und filmt die Ankommenden. Ich tue das gleiche. Es sind noch einige Menschen zu den Skinheads gestoßen, die man auf den ersten Blick nicht zuordnen kann. Andere tragen Seitenscheitel oder selbstgestrickte Mützen in den Farben der NSDAP. Gut sichtbar halte ich den Demoflyer vor mich.

Vor mir treffen sich zwei Männer mit grauen Haaren:

„Ah, die Richtigen sind immer anzutreffen.“

„Ja, schön Sie zu sehen.“

„Als ich letztes Mal vom Sternmarsch in Chemnitz wegfuhr, sprachen die im Radio von der Demo und sagten irgendwas von brauner Sauce. Da wusste ich, dass wir mal wieder alles richtig gemacht haben.“

„Ja, hab ich auch gehört. Fast eine Adelung.“

Auf dem Altmarkt, kurz bevor die Demozüge eintreffen. © Raphael Thelen

Als die Kundgebung losgeht, stelle ich mich in die Nähe einiger älterer Männer. Die Skinheads stellen sich vorne mit ihren Transparenten im Kreis auf. Hinter mir versammeln sich die Mitglieder der Identitären Bewegung mit ihren gelb-schwarzen Fahnen. Mitglieder der Gruppe haben Bürgermeister Rudler den Rathauseingang zugemauert. Die Meisten tragen Undercuts und Bärte, sind von Hipstern in Leipzig und Berlin nicht zu unterscheiden.

Dann beginnt der erste Redner, Stefan Hartung von der NPD:

„Ich möchte zu Beginn ein Dankeschön und meinen Respekt bekunden an den örtlichen Bürgermeister. Wir haben es in den vergangenen Jahren schon öfters erlebt, dass Amtspersonen sich nicht zurückhalten konnten. Aber hier in Aue ist uns unser Demonstrationsrecht unkommentiert zuteil geworden. Wir mussten uns keine Gutmenschenphrasen der Stadt anhören es wurde alles sehr sachlich und konstruktiv gehandelt. Und dafür noch mal ein Dankeschön an die Behörden.

Wir dürfen heute auch wieder feststellen, dass es in Sachsen kaum noch linken Gegenprotest mehr gibt. Der Gegenprotest hier hat heute gerade mal zehn Protestanten auf die Straße gebracht. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Meinungshoheit mittlerweile uns gehört.

Wir müssen aber auch beobachten, dass weite Teile unseres Landes nicht mehr zu hundert Prozent uns als Deutschen gehören. Aue war bis vor ein paar Jahren noch durchweg germanisch besiedelt, mittlerweile fühlt man sich teilweise nicht mehr wohl in seiner Heimat. Das heißt nicht, dass wir irgendwen pauschal verurteilen, aber wir als Deutsche haben ein Recht darauf, das unser Deutschland auch deutsch bleibt.“

Das sind die ersten vier Minuten ungekürzt. Immer wieder wird der Redner von Applaus und „Wir sind das Volk“-Sprechchören unterbrochen. Mittlerweile haben sich 600 Menschen versammelt. Ich stehe in ihrer Mitte und applaudiere, selbst als der Redner Flüchtlinge „Schwimmbeckenscheißer“ nennt, applaudiere ich, aus Angst, aufzufallen.

Nach einer halben Stunde will ich nur noch weg. Ich will den nächsten Zug kriegen, um weg zu sein, bevor die anderen zum Bahnhof gehen. Kann ich einfach gehen, ohne dass mich jemand als das ausmacht, was ich bin? Bei einer Pegida-Demo in Dresden wurde ich bei meinem letzten Besuch im November mehrfach angespuckt, als ich durch die Menge ging. Da trug ich aber auch noch längere Haare und einen Bart. Für Aue habe ich mir die Haare schneiden lassen und mich morgens noch rasiert. Nach und nach gehe ich ein paar Schritte zurück, drehe mich um und gehe aus der Menge. Am Rand hält mich ein Typ mit NSDAP-Mütze auf.

„Was hast du da?“

Er meint den Flyer, den ich vor mir hertrage. Dann bin ich raus, gehe zum Rand des Platzes, noch ein Stück die Straße runter. An der Ecke drehe ich mich um. Keiner ist hinter mir.

Ist das alles Paranoia? Es ist nichts passiert, aber ich fühle mich erst sicher, als ich im Zug sitze und die Türen sich schließen.

In Leipzig fahre ich zu einem guten Freund, der in einem Pflegeheim Nachtschicht schiebt. Ich muss das Erlebte runterreden, es loswerden. Wir sitzen draußen und rauchen eine Zigarette und das Reden tut genauso gut, wie das freundliche „einen schönen Abend noch!“ der Anwohner. Die Eltern des Freundes kommen aus Äthiopien, doch das spielt hier keine Rolle.

Um 23 Uhr bringt er mich zur Bahnhaltestelle. Als wir näherkommen, fangen ein paar junge Typen an rumzugröhlen. Ich zucke zusammen.

 

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