Es ist schwierig sich zu konzentrieren, den Nachrichtenoverkill auszusperren: Revolution. Konterrevolution. Wahrheit. Lügen. Geballte Fäuste. Gereckte Arme. Trump. Steinmeier. Petry – Kampfbegriffe und Kämpfer, die den Äther mit Großbuchstaben fluten.
Am Tag der Amtseinführung von Trump unterhielt ich mich mit dem Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann über die Generation Y. Er hat mehrere Bücher und Studien über uns geschrieben und ich wollte von ihm wissen, warum es sich dieses Mal so anders anfühlt, als bei früheren Katastrophen. Das Gespräch war ausschlussreich, doch ich kriege den Text nur schleppend in den Laptop, was nicht verwundert angesichts des Mediensturms, und beweist nur, dass es sich tatsächlich derzeit anders anfühlt als sonst, doch ich könnte auf diesen Beweis gerne verzichten.
Hurrelmann ist routinierter Interviewpartner und die meisten Journalisten scheinen sein Buch in der Vorbereitung nicht gelesen zu haben, jedenfalls betet er anfangs seine Standards runter: Die Generation Y wurde zwischen 1985 und 2000 geboren und erlebte „nach der Jahrtausendwende die Phase, in der Jugendliche hypersensibel sind und sich nicht nur mit sich selbst, sondern auch ihrer politischen und sozialen und wirtschaftlichen Umwelt auseinandersetzen.“
Für uns hieß das eine Krisendichte, wie selten zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg, angefangen mit dem 11. September 2001.
Ich saß an dem Tag am Computer meines Vaters und irgendwann kam eine Nachricht über ICQ: „Guck mal, da ist ein Flugzeug ins World Trade Center in New York geflogen.“ Ich wusste nicht, was das WTC war, dachte bloß: „Ha, blöde Amis“ und schickte wahrscheinlich so etwas wie „LOL“ zurück.
Als ich das erste Foto der brennenden Türme sah, ging ich in mein Kinderzimmer, schaltete den Fernseher ein, setzte mich aufs Bett und sah die Endlosschleife der beiden Flugzeuge, wie sie in die Hochhäuser krachten. Bald setzten sich meine Eltern dazu, erst sprechend, dann schwiegen wir alle. Wir aßen nichts und gingen auch nicht rüber ins Wohnzimmer, wo wir sonst fernsahen.
In den folgenden Monaten schockte uns dann der politische Wahnsinn, der in den USA ausbrach. Der Staat überwachte seine Bürger durch den PATRIOT ACT, präsentierte gefälschten Beweise über Massenvernichtungswaffen, schlug mit aller Macht die Kriegstrommeln.
Und zum ersten Mal ging ich demonstrieren. Vielleicht hundert Leute standen auf dem Bonner Marktplatz, es wurden Reden gehalten, alles ein bisschen enttäuschend, nicht gerade die packende Energie der 68er, aber letztlich ging der amerikanische Wahnsinn an uns vorbei. Angela Merkel wollte, dass deutsche Soldaten im Irak kämpfen. Gerhard Schröder war dagegen. Schröder gewann die Wahl.
2008 dann stürzte die Lehman Brother die Welt ins Chaos, die prägendste Erfahrung unserer Generation, meint Hurrelmann: „Das Schlimmste war die große Jugendarbeitslosigkeit, das Signal also, dass die Gesellschaft einen nicht braucht.“
Das Gefühl zieht sich auch durch mein Leben, obwohl ich 1985 geboren bin, der Finanz-Crash mich also nicht mehr ganz so erschütterte. Doch kürzlich unterhielt ich mich mit Schulfreunden und wir erinnerten uns alle an das ewig drohende: „Wenn ihr euch nicht anstrengt, bekommt ihr nach dem Abi keinen Job!“ Ich sehe noch die Gesichter der Lehrer vor mir, die uns das eintrichterten. Doch im Gespräch fiel uns auf, dass es eine leere Drohung war, fast alle sind irgendwo untergekommen, die meisten ganz gut.
Und ist es 2011 mit Fukushima nicht auch so gelaufen? Panik griff nach dem Unfall um sich, doch Deutschland bekam nicht nur nichts zu spüren, sondern sogar den Atomausstieg. Und wenn wir mal Job oder Beziehung verlieren, können die meisten von uns bei ihren Eltern unterkriechen oder auf ein paar Euro hoffen. Hurrelmann teilt dementsprechend meine Einschätzung, dass wir eine grundlegend optimistische Generation sind. Es wird schon irgendwie gehen.
Trotzdem ist er überzeugt, dass die Krisen das Verhalten unserer Generation prägten: Stets alle Alternativen offenhalten, keine langfristigen Bindungen eingehen, immer beweglich bleiben. „Man will nicht zu denen gehören, die in der Sackgasse stecken, wenn sich irgendetwas verschiebt“, sagte Hurrelmann. „Eine opportunistisch-taktisch sondierende Grundhaltung kennzeichnet diese Generation.“ So sei es zumindest mit jenen 40 Prozent unserer Generation, die dank Abitur, Studium und Flexibilität ganz gut durch kommen, „idealtypisch und meinungsführend“ sind. Er hat auch ein Wort für uns erfunden „Egotaktiker.“
Nicht sehr sympathisch, dachte ich. Aber auch ich muss zugeben, dass ich im Beruflichen immer einen Plan B und C habe, falls mal wieder irgendein Redakteur absagt oder ein Projekt platzt.
Aber wenn Hurrelmann Recht hat, dann sollte uns Trump doch eigentlich kein Problem machen. Kann er wirklich schlimmer sein, als ein Terrorangriff mit Passagierflugzeugen, der Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems, oder eine dreifache Kernschmelze? Rührt die neue Angst also vielleicht nicht daher, dass wir uns physisch durch Trump bedroht fühlen, sondern, dass er an etwas rüttelt, was uns im Innersten ausmacht? Es scheint ein altmodischer Begriff, aber, frage ich Hurrelmann, was sind eigentlich die Werte der Generation Y? Wie steht sie zum Beispiel zu Angela Merkel?
„Quer durch die politischen Lager herrscht eine positive Einschätzung, weil Merkel für Stabilität, Offenheit und Authentizität steht. Auffällig ist auch, dass es politisch keine sehr starke Akzentsetzung links oder rechts gibt. Die Generation Y lebt einen sehr intensiven Trend zur Mitte, mit winzigem Ausschlag nach links. Vor allem sind sie starke Anhänger der demokratischen Idee.“
Ich fragte weiter in diese Richtung und Hurrelmann zeichnete das Bild einer recht offenen Generation. Es gäbe eine positive Einstellung zu Flüchtlingen und Migranten, „schließlich stammen 30 bis 40 Prozent der Peers aus anderen Kulturen.“ Der Holocaust sei immer noch ein mahnender Bezugsraum und im Bezug auf die Rechtspopulisten sagte Hurrelmann: „Verführbar ist die Generation nicht.“ Stattdessen: Gerechtigkeit, ethischer Konsum, Neugier auf Fremdes.
Kann es also sein, dass Trump uns so ängstigt, weil das bedroht, wofür wir als Menschen stehen? Hat das etwas mit Identität zu tun, diesem Begriff, mit dem ich im Bezug auf Politik nie etwas anfangen konnte, weil er so stark auf Abgrenzung basiert? Ist Trump der Anti-Y?
Immer wieder merke ich in letzter Zeit, wie sich meine politischen Einstellungen schärfen: Je krasser Trump in den USA und AfD hierzulande gegen den Wohlfahrtsstaat, gegen Muslime und die Demokratie hetzen, desto bewusster werde ich mir, was meine Werte eigentlich sind.
Ich ordnete mich immer als links ein und schrieb für den guten Zweck: für die Revolutionäre auf dem Tahrir-Platz, während meiner Zeit in Kairo 2011. In den Folgejahren in Beirut für die syrischen Opfer des libanesischen Militärs. Später dann für die Flüchtlinge auf der Balkanroute und in italienischen Flüchtlingslagern, für ausgebeutete marokkanische Arbeiter auf spanischen Biofarmen. Aber da folgte ich einfach meinem Gefühl.
Jetzt wird mir zunehmend bewusst, dass Ausgleich einer meiner zentralen Werte ist. Ich vermittele, wenn Freunde streiten oder gehe aus dem Raum. Dass ich die Europäische Union unterstütze, liegt an meiner Angst vor Krieg und daraus leitet sich auch ab, dass ich für Vermögenssteuer, für Erbschaftssteuer, für einen hohen Spitzensteuersatz bin, schließlich provoziert soziale Ungleichheit Spannungen. In allem, was ich tue, versuche ich Auseinandersetzung zu vermeiden. Gilt das für die ganze Generation Y, kann sie überhaupt Konflikt?
„Nein, kann sie nicht, das hat sie nicht gelernt. Sie hat nur gelernt zu taktieren, sich mit Raffinesse und Geschicklichkeit und vielleicht auch Charme und Trick aber auf jeden Fall fair und legitim durchzusetzen“, sagte Hurrelmann. „Das geht auch auf das Konto der Eltern, die ebenfalls auf Ausgleich setzten, die nicht dafür gesorgt haben, dass ihre Kinder lernten mal ernsthaft zu streiten und vier Tage hintereinander im Clinch zu liegen.“
Daran liegt es also auch vielleicht, dass wir uns in NGOs engagieren und auf Petitionen setzen, statt in Parteien zu arbeiten, in denen man mit Parteikollegen und politischen Opponenten Auge in Auge streiten muss. Der Altersdurchschnitt von SPD und CDU liegt bei 60 Jahren, bei der jüngsten Partei, den Grünen, bei 50 Jahren.
Doch jetzt rollt diese riesige Trump-Maschine auf uns zu, schon am ersten Tag unterzeichnete er Anweisungen, die Obamacare aushebelten, ließ alle Verweise zu Klimaschutz und LGBT-Rechten von der Website des Weißen Haus entfernen, bestätigte die Nominierung kriegsgeiler Generäle. Was sollen Petitionen, Initiativen und NGOs da ausrichten? Kein Wunder, dass ich mich hilflos fühle.
„Macht ist etwas, das in der Generation Y als tabuisiert gilt. Dass Politik Gestaltung von gesellschaftlichen Dingen ist und es dafür legitime Macht braucht, das ist nicht auf dem Schirm. Stattdessen kauft man gewisse Produkte nicht mehr, weil sie umweltschädigend sind. Das ist nicht unpolitisch, aber das ist kein aktiver Versuch Entscheidungen zu beeinflussen.“
Es scheint also, dass Trump und die Rechtspopulisten hierzulande mir deshalb solche Angst einjagen, weil sie radikal andere Werte vertreten. Es geht um meine Identität. Das wäre kein Problem, soll jeder machen, was er oder sie will, doch Trump & Co. vertreten diese Werte aggressiv, zwingen uns einen Konflikt auf und wir sind es nicht gewohnt damit umzugehen. Trump nutzt dafür seine präsidentielle Macht, die AfD ihre rhetorischen Brandbomben, ihr mediales Aufpeitschen und ganz handfest: ihre Bündnisse mit Rechtsradikalen, wie der Identitären Bewegung.
Am Ende unseres Gesprächs fragte ich Hurrelmann, wie unsere Generation mit Angst umgeht. Er zögerte kurz, als ob er sich der Tragweite seiner Antwort bewusst war, sagte dann: „Die wichtigste Strategie ist Verdrängen und Durchlavieren, um in einen Bereich zu kommen, wo man das Einstürzen der Kulissen nicht spürt. Wenn das nicht ausreicht, wollen wir mal schauen, ob es doch zu einer konflikthaften Auseinandersetzung kommt, was normal menschlich wäre, weil es zu den Grundmechanismen der Angstbewältigung gehört. Doch die größte Gruppe wird wohl mit Flucht reagieren.“
Wir führten das Gespräch einige Stunden vor Trumps Amtseinführung. Seitdem sind alleine in den USA gegen ihn über zehn Millionen Demonstranten auf die Straße gegangen, auch in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Heidelberg und München protestierten tausende von Menschen.
Die Märsche wurden auf deutschen Newswebsites schnell „Revolution“ und „Konterrevolution“ genannt. Ich habe dem erst nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, zu oft sind solche Proteste schon nach kurzer Zeit implodiert. Doch vielleicht haben sich die Menschen dieses Mal entschieden, dass Kämpfen statt Fliehen, die richtige Strategie ist.